Gutgemeinte Zahnprothesenreinigung

Brigitte Böck

von Brigitte Böck

Story

1962 war ich in einem großen Berliner Krankenhaus zur Ausbildung als Krankenschwester, habe aber diese nie abgeschlossen. Ich war 17 Jahre alt. Schon damals gab es katastrophale Zustände in diesen sogenannten Gesundheitshäusern, vorallem auf Stationen, auf denen viele alte Menschen lagen.

Wir mussten verschiedene Abteilungen für einige Tage oder Wochen durchlaufen und so kam ich auch auf die Geriatrie. Mit mir war noch eine Schwesternschülerin auf der Station. Isolde war hoch motiviert, sie arbeitete mit doppelter Geschwindigkeit und machte alles, um sich zu profilieren. Eines Abends rief uns die Oberschwester, ich sollte einige Betten beziehen, Isolde bekam den Auftrag, die Zähne der alten Menschen für die Reinigung bereitzumachen und sie rannte gleich los. Nach ungefähr einer Viertelstunde lief sie an mir vorbei mit 2 Schüsseln in den Händen, strahlte und sagte, sie sei schon fertig.

Ich guckte in die Schüsseln, mein Herz blieb fast stehen, ich schlich hinter ihr her zur Oberschwester. Isolde übergab ihr die beiden Gefäße, in einem waren alle Unterteile in der anderen alle Oberteile der Prothesen. Isolde fragte, was sie nun damit machen soll. Schwester Klara tickte total aus, sie fing an zu stottern, überschlug sich fast und japste nach Luft. Isolde verstand nichts, sie war fassungslos, fragte, ob sie etwas falsch gemacht hat. Klara brüllte: „Sie machen hier gar nichts mehr, sie gehen jetzt sofort nach Hause und kommen nicht mehr wieder, sie sind ab sofort entlassen.

Isolde sah mich ratlos an, ich schwieg. Dann verschwand sie weinend, ich habe sie nie wieder gesehen. Welche Langzeitauswirkungen Isoldes gutgemeinte Aktion auf der Station und für die Oberschwester hatte, dass weiß ich nicht. Auch ich wurde am nächsten Tag in eine andere Abteilung versetzt.

© Brigitte Böck 2023-02-27