von Tina Doeffinger
„Wie bitte? „, du bügelst deine Haare mit dem Bügeleisen?
Fassungslos schaue ich mit meinen 10 Jahren auf eine Bekannte, die ich um ihre lockigen Haare beneide. Sie hat mir gerade eröffnet, dass sie so gerne meine Haare hätte? MEINE HAARE?!! Diese dünnen, glatten Schnittlauch-Dinger?
Wenn es möglich gewesen wäre, hätten wir auf der Stelle getauscht.
Ich hätte mir später nie verunglückte Dauerwellen verpassen lassen, wäre glücklich bis an mein lockiges Lebensende gewesen. So dachte ein Teil von mir. Ein anderer, mit den Jahren gereifter Teil, gestand sich ein, ganz sicher zum Glätteisen gegriffen zu haben, wäre ich mit Locken geboren.
Und jetzt, so viele Jahrzehnte später, bin ich so froh, dass dieser Tausch nicht möglich war. Manches ist doch einfach gut so wie es ist, auch wenn erst eine lange Zeitspanne dazwischen liegt.
Ich weiß nicht, ob meine frühere Bekannte ihre Haare heute noch bügelt, ob sie sich abgefunden hat oder sogar glücklich über ihre Locken ist. Vielleicht ist sie so froh wie ich, dass wir nicht tauschen konnten.
Es hat viele Jahre gedauert, bis ich bei einem Pixie gelandet bin und eine Frisur habe, die zu mir passt. In meiner Jugendzeit wollte ich lange Haare haben. Lang und wallend. Aber sie wallten nicht. Es fehlte die nötige Fülle, allein für die Optik, aber vor allem auch, um einen Vorhang zu bilden, hinter dem ich Pickel und aufwallende Schamesröte verstecken konnte.
Die erste Dauerwelle, die mir eine Bekannte meiner Mutter verpasst hatte, war grauenhaft. Der Pony viel zu kurz und ich sah aus wie Prinz Eisenherz. Immerhin fiel dieser Vorhang schützender über die Unsicherheiten und Mängel. Aber die vordere Front schnitt ich von nun an selbst.
Eines Tages, Mitte dreißig spürte ich, wie ein Entschluss über Nacht seine Reife erreicht hatte. Von heute auf morgen wollten die Haare ab. Am liebsten sofort, bevor ich es mir anders überlegte. Auch meine Bedenken, ständig zum Nachschneiden gehen zu müssen, warf ich über Bord.
Ich habe es nie bereut. Seit über vierundzwanzig Jahren schneide ich mir die Haare selbst. Ich bin glücklich mit meinen glatten Haaren, ohne die ich diese Frisur nicht tragen könnte. Der Wirbel an der Stirnseite, der mir früher ein Ärgernis war, ist mir heute höchst willkommen.
Heute habe ich keine Pickel mehr und manche Unsicherheit ist von mir abgefallen wie unnötig langer Kopfschmuck.
© Tina Doeffinger 2023-10-04