von Brigitte Böck
Viele Geschichten über die Hände berühren mich immer wieder sehr tief. Was meine Hände mir wirklich geben können- wozu sie fähig waren- das habe ich erst als erwachsene Frau erfahren.
Als Kind hatte ich furchtbare Angst vor Händen, ich bin immer vor ihnen zuruckgezuckt. Zuviel Gewalt, wenn sie mir zu nahe kamen war ich in Alarmbereitschaft und hielt sie möglichst schützend und abwehrend vor mich. Zärtlichkeit war mir unbekannt. Meine Hände vergrub ich meist in Kleider-oder Hosentaschen, sie hätten meine Gefühle verraten. Mutter war viel krank, chronisch erschöpft und konnte nichts geben. Auch sie litt unter dem gewaltätigem Vater.
Die erste Erfahrung mit Zärtlichkeit machte ich bei der Geburt meines ersten Kindes. Dieses Gefühl war für mich überwältigend, ich spürte das kleine schutzlose Wesen, fühlte mit den Fingerspitzen die warme, zarte Haut und war in Tränen aufgelöst. Ich flüsterte:“Niemals sollst du Angst vor Händen haben, du sollst all das bekommen, was ich für dich fühle und durch dich erst kennenlerne.“ Ich schwor, mein Kind niemals zu schlagen, egal, was passiert und das habe ich konsequent gelebt. Bei meinem zweiten Kind konnte ich kaum ertragen, dass ich sie fast ein Jahr nur im Krankenhaus durch die Glasscheibe sah.
Für meine Hände begann ein Prozess der Heilung. Der Weg in den Erzieherberuf war der nächste logische Schritt. Jahrelang haben mich Kinderhände fasziniert und intuitiv spürte ich, wann und wie sie meine Berührungen brauchten und sie hatten selbst soviel zu geben. Vertrauen war unsere Basis. Wir haben Kinder unter einer Decke versteckt und nur die Hände guckten raus, dann haben wir sie dem Kind zugeordnet. So lernten meine Zwerge, auf Hände zu achten und zu benennen, was man mit ihnen alles kann und wofür wir sie brauchen. Meine Hände wurden sensibler und ich begann, sie zu lieben.
Als ich 8 Monate meine Mutter pflegte, entwickelten meine Hände ein Eigenleben, ich lernte, über sie auszudrücken, was verbal nicht mehr zu ihr durchdrang. Zwischen uns Beiden begann eine Intimität und Zärtlichkeit, die ich als Kind ihr gegenüber zwar fühlte, aber sie lies es nicht zu. Oft saß ich lange an ihrem Bett, hielt ihre Hände in meinen, vergaß den Alltag, es hob mich auf eine zutiefst beglückend Ebene.
Später ging ich in die Hospizarbeit, dort fand ich das wieder, was ich mit und durch meine Mutter erlebt hatte. Alte Hände, schwer gezeichnet durch harte Arbeit, zitterne Hände, die nicht mehr zu greifen konnten, verkrampft und oft ins Leere greifend, knochig und abgemagert. Manche waren zu Fäusten geballt und abwehrend vor Angst oder Wut. Wenn ich still ihre Hände in meine nahm kam eine tiefe Ruhe über sie. Viele alte Menschen hatten losgelassen, ihre Hände waren friedlich, nahmen wahr und so kommunizierten wir liebevoll über unsere Hände.
Heute sind meine Hände alt und ich bin dankbar, dass ich lernte, sie können viel geben und auch viel empfangen.
© Brigitte Böck 2020-09-03