Meine Hände sind die Summe meiner Finger. Wie soll ich ein Glas halten ohne Daumen, wie den verschränkten Pfadfindergruß ohne Finger geben? Wie soll ich einen Handschlag ausführen ohne Finger oder ein Anerkennungszeichen aussenden? Wie den Korken aus der Flasche ziehen, den Nagel halten, die Schraube eindrehen? Wie kann ich im Garten pflanzen, säen, ernten? Wie soll ich abbiegen beim Fahrradfahren – wie überhaupt den Lenker halten? Wie soll ich die Motorradfahrt stabilisieren? Ohne Finger kann ich weder Saxofon noch Klavier spielen. Ich halte den Wind (in den Händen) mit den Fingern beim Surfen!
Am Zeigefinger hielten sich meine Kinder fest, als sie klein waren. Am Ringfinger trage ich mein Versprechen. Mit den Fingern berührte ich Freunde und Freundinnen, als ich sie kennenlernte – noch lang bevor meine ganze Hand sie anfassten.
Meine Hände sind sensibel … sehr sensibel. Ich spüre durch meine Hände Schwingungen, wenn ich sie – wenn ich die Finger an einen Baum, an eine Pflanze lege. Das Leben von Pflanzen im Garten fühle ich mit den Finger-(spitzen), fühle ihr Wachsen, ihre Beständigkeit, auch mal ihren Stress.
Mit den Fingern (und einem Metallkreuz) finde ich Wasseradern, Stromleitungen, spüre ich (unterirdische) Quellen. Meine Handmassage beginnt und endet an den Fingern.
Meine Hände leiten mich im Dunkeln, aber nur sobald die Finger ausgestreckt sind. Mit ihnen taste ich, spüre Wände, Gegenstände, Widerstände. Meine Finger sind Hilfsmittel im Dunkeln. Sie tasten in der Dunkelheit, erkennen Althergebrachtes, erkennen vieles erst nach langem Fühlen, wundern sich über Neues. Sie sind meine zweiten Augen. Meine Finger brauche ich als Haptiker, denn was ich nicht greifen kann, kann ich auch nicht „be“greifen. Ich muss, was ich auch immer besorge, anfassen, mit den Fingern berühren, um es zu verstehen, beurteilen zu können. Durch meine Finger spüre ich den Gegenstand, fühle seine Gestalt, wie er geformt und bearbeitet ist. Meine Finger sind für mich der 7.Sinn. Das Dreidimensionale wird durch meine Finger erst wirklich erfahrbar.
Und ich benutze meine Finger zum Sprechen. Ich brauche sie, wenn ich etwas demonstrieren, bedeutsam erscheinen lassen will. Wenn ich Besonderes hervorheben möchte. Eine Rede, ein Gespräch brauchen meine Finger zum Unterstützen.
Ich denke mit dem Kopf, rede mit dem Mund, unterstreiche mit den Fingern. Meine Fingergebärden müssen das Gesagte unter“malen“ – nur dann werde ich auch authentisch wahrgenommen. Und sie können sich in bestimmten Situationen verselbständigen, wenn ich verzweifelt, fröhlich, traurig bin – wenn ich abwinken, beenden, heranholen möchte. Sie können Zustimmung ausdrücken und auch Abwehrverhalten.
Ich liebe meine Finger und schmücke sie deshalb gerne. Schmücke sie mit Ringen, um ihre Bedeutung hervorzuheben.
Weil ich stolz auf meine Finger bin und weiß, was sie für mich bedeuten.
© Heinz-Dieter Brandt 2020-09-03