von Martin Worst
Vor einigen Wochen feierten wir den 13. Geburtstag von Hailey.
Noch vor wenigen Monaten schwamm sie mit mir im See, apportierte die Plastikente mit Eifer. Lief ohne Leine vor mir her und ich kam nicht mit. Sie war immer zuerst zuhause!
Heute, nur wenige Monate später, schaut sie mich kraftlos mit ihren trüb gewordenen Augen an, hast du einen Job? Gehen wir spazieren? Ihr „will to please“ ist immer noch vorhanden. Aber der Wille scheitert an fehlenden Fähigkeiten. Im Sommer suchte und fand sie in Windeseile versteckte Geldnoten im Garten. Heute kennt sie das Kommando nicht einmal mehr. Sie schaut mich fragend an, wenn sie bellen oder den Alarmknopf berühren soll. Aufgaben, die vorher Routine waren. Gehen wir raus, schaut sie mich nach wenigen Metern an und ich verstehe, sie will zurück.
Ich bin traurig, dies mit ansehen zu müssen. Leidet sie? Nein, sie ist alt und gebrechlich, aber Appetit und Lebenswille sind vorhanden. Das zählt! Schaue ich in ihre schon trüben Augen, weiß ich, dass unsere gemeinsame Zeit enden wird. Es fällt mir schwer, dies zu akzeptieren.
Unser Alltag hat sich verändert. Meine beste Freundin hört und sieht schlecht. Im Straßenverkehr muss ich aufpassen, weil sie nahende Fahrzeuge nicht rechtzeitig wahrnimmt. Zu Hause sind Treppen verboten. Und sie sucht Nähe. Unsere Nähe. Fremde Personen und Hunde scheinen gefährlich. Aber wenn es sich ergibt, werden Hunde und Menschen freudig begrüßt. Es gibt auch Positives! Die Nase funktioniert noch! Futter und Leckerlies werden gefunden!
Es folgten Besuche beim Tierarzt. Hatte Hailey einen Schlaganfall erlitten? Handelte es sich um Hunde-Demenz? Nicht zu klären. Letztlich wären alle weiteren Maßnahmen riskant und hätten wenig Aussicht auf Erfolg. Jede Narkose bedeutet für Hailey eine zusätzliche Belastung. Und so bekam sie eine Aufbauspritze und ein Schmerzmittel. Einen Tag später ging es ihr wieder besser und sie ist sicherer auf den Beinen. Ich schöpfe Hoffnung. Und doch weiß ich, dass all diese Maßnahmen und Mittel nur die Beschwerden lindern können. Heilung ist nicht möglich und altern lässt sich nicht stoppen.
Weil Hailey auf den Fliesen wegrutschte, haben wir Teppiche und Matten ausgelegt Sie bekam eine spezielle Matratze und wir schlafen mit ihr im Zimmer. Unsere Spaziergänge sind nur „Runden ums Haus“. Und doch erlebe ich etwas von ihrer Kraft und Freude, wenn sie geschickt einen Ball, gefüllt mit Leckereien, durch das Zimmer schiebt oder mir ein Stück Papier aus dem Papierkorb bringt, wenn sie eine Belohnung möchte.
Unser Leben ist ruhiger geworden. Hailey mag nur ein Schatten ihrer selbst sein, aber ich liebe sie wie früher. Ich trage die Verantwortung für sie und lerne soeben, was dies in letzter Konsequenz bedeutet.
© Martin Worst 2022-10-06