Hallo, ich bin die neue Nachbarin

Andrea Tanner

von Andrea Tanner

Story

Wir betraten das große, leere Wohnzimmer in der Bergenstammgasse. Die schwachen Strahlen der Herbstsonne drangen durch die verglaste Südseite der Wohnung und tauchten den Raum in ein warmes, heimeliges Licht. Die Glastür führte auf den geräumigen Balkon, der genug Sichtschutz bat, um die Sommersonne ungestört genießen zu können. Mein Blick schweifte nach Südwesten – Richtung Lainzer Tiergarten. Als waldverliebtes Landei und stolze NÖin war mir für meine 1. Wohnung in Wien die Nähe zum Wald genauso wichtig wie die Nähe zur U-Bahn. Wir waren sofort verliebt in diese Ober St.Veiter Wohnung und sagten auf der Stelle zu.

Anfang Dezember bezogen wir unser neues Quartier und wie es diese Jahreszeit so an sich hat, waren wir abends auf den Christkindlmärkten unterwegs, was unseren Nachbarn keine Gelegenheit bot, uns kennenzulernen. Eines nachts kehrte ich leicht beschwingt von unserer Firmen-Weihnachtsfeier heim und freute mich auf mein Bett. Meine Vorfreude wurde jedoch abrupt durch den vorgeschobenen Sicherheitsriegel gebremst, der mich die Wohnungstür nicht öffnen lies. Nein, das gibts doch nicht! Thomas hat wohl beim Telefonieren geistesabwesend mit dem Sicherheitsriegel gespielt und nicht gemerkt, daß er ihn geschlossen hat!

Das ganze Haus schlief tief und fest, nicht einmal die kleinen Kinder in der Nachbarwohnung waren zu hören. Ich konnte die entsperrte Türe gerade soweit öffnen, um meinen Arm durchzustecken. Ich bemühte meine vom Alkohol beeinträchtigten Gehirnzellen und erblickte in Griffweite das große Windspiel mit den langen Klangstäben, welches ich wenige Tage vorher direkt beim Eingang aufgehängt hatte. Das sollte reichen, um Thomas aus dem Schlaf zu läuten. Ich zwängte meinen Arm durch den Spalt, nahm die Schnur in die Hand und zog so fest ich konnte. Die Klangstäbe schlugen wild aufeinander und ein Höllenlärm zerstörte die friedliche Ruhe, die über dem Haus lag.

Stille. Das gibts doch nicht, wieso hört er das nicht!

Ich nahm meine ganze Energie zusammen und versuchte in einem 2.Anlauf den Geräuschpegel zu erhöhen. Thomas verharrte im Tiefschlaf, jedoch begann sich in der Nachbarwohnung etwas zu regen. Die Tür ging auf und ein junger, verschlafener Mann blickte mich verstört an.

„Ah, Äh, wir hatten noch nicht die Gelegenheit, aber ich bin die neue Nachbarin“, stellte ich mich kurz vor.

Er starrte mich unschlüssig an und seine Augen verrieten, daß er mich wohl als betrunken oder verrückt abstempelte. Als potentielle Einbrecherin wirkte ich wohl zu unprofessionell. Ich schilderte ihm kurz meine missliche Lage und weckte offensichtlich den Helfer in ihm, da er kurze Zeit später mit seinem Werkzeug neben mir stand und versuchte den Sicherheitsriegel ab zu montieren. Voller Eifer versuchte ich meinem neuen Nachbarn zu helfen, aber da war absolut nichts zu machen. Der Härtetest war bestanden, das Ding war absolut sicher. Mein Nachbar bot mir schlußendlich seine Couch an, die ich dankend annahm:-)

© Andrea Tanner 2019-09-27