“Halt mich nicht fest” – die Grabeskirche

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story

Die Grabeskirche in der Altstadt Jerusalems ist ein Kosmos für sich. Hier soll Überlieferungen zufolge die Kreuzigung Jesu stattgefunden haben und sich auch sein Grab befinden.

Sechs verschiedene christliche Konfessionen haben Anteile an den verschiedensten Gedenkstätten. Hauptsächlich wird das Heiligtum von der Griechisch-Orthodoxen, der Römisch-Katholischen (Franziskaner) und der Armenisch-Apostolischen Kirche verwaltet; dazu kamen im 19. Jahrhundert die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien, die Kopten und die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche.

Dementsprechend unterschiedlich ist die Gewichtung bei Aufgaben und Rechten in der Kirche. Die äthiopischen Christen z. B. leben als kleine Gruppe auf einem der Kirchendächer. Die Gebetszeiten sind genau geregelt, aber es scheint sich niemand dranzuhalten. Es ist ein heilloses Durcheinander.

Die Oberverwaltung und Schlüsselgewalt haben von alters her zwei muslimische Familien. Solche Diskrepanzen gibt es hin und hin. Bethlehem, das vorwiegend muslimisch ist, darf nur von einem christlichen Bürgermeister verwaltet werden. Dass das immer wieder zu Schwierigkeiten führt, ist verständlich.

Die Atmosphäre in der Kirche ist schwulstig, hektisch, laut – schrecklich übertrieben, übervoll, überfüllt – ein Alptraum. Sicher kein Platz der Andacht für mich. Immer wieder kommt im Laufschritt eine Prozession mit Kreuzträgern daher – vorne zwei Kirchendiener und wer nicht schnell genug ausweichen kann, wird beiseite gestoßen. Auch unter den konfessionellen Vertretern kann es durchaus zu Meinungsverschiedenheiten kommen, die nicht selten zu Handgreiflichkeiten führen.

Kurioserweise ist über dem Haupteingang eine Holzleiter, die den Mönchen zum Einstieg dient, wenn die Eingangstüren behördlich geschlossen sind, denn es herrscht auch in der Nacht Betrieb. Die Holzleiter steht deshalb noch da, weil nicht geregelt ist, wer sie entfernen darf.

Ehe ich auf das Dach flüchte – eine möglichst schnelle Runde zu den Gedenkstätten. Dazu gehört das Gefängnis Christi, die Adamskapelle, Kreuzauffindung, Stelle der drei Frauen, Altar der Maria Magdalena, das Heilige Grab, natürlich Golgotha, dessen Felsen man unbedingt anfassen muss. Einzig das Altarbild der Maria Magdalena vermag mich zu bewegen. Sie sieht Jesus, streckt die Hand aus, will ihn berühren: „Rabbuni“! “Halte mich nicht fest.” (Joh.20,11-18). Wir wollen immer festhalten, was wir lieben.

Nachdenklich spaziere ich über die Dächer Jerusalems – ein besonderer Weg und besondere Ausblicke.

In der Engelskapelle der Franziskaner in der Grabeskirche – ich glaube der einzige Ort, wo Stille ist und die ein wunderschönes modernes Kreuz in einer tiefblauen Grotte beinhaltet, feiern wir in der kleinen Gruppe die Auferstehungsfeier, die sehr zu Herzen geht und Ostern erlebbar macht.

Die Grabeskirche ist auch Auferstehungskirche. “Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?” (Lk.24,5)

© Christine Sollerer-Schnaiter 2021-04-03