Hammer-Geschichte

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Immer wenn ich höre, dies oder jenes sei Hammer, muss ich an Herrn Holzinger denken.

Als ich in die Volksschule ging, verbrachte ich oft die Nachmittage bei der Holzinger Eveline. Sie ging mit mir in die Volksschule und wohnte in einem Haus mit Garten, gleich „beim Damm“, unweit von uns. „Damm“, so sagen die Leute heute noch zum Hochwasserschutzdamm, der den Stadtteil von Linz, den man früher „Ufer“ nannte, von der Traun und dem Augebiet abgrenzt.

Die Eveline war klein und zart. Ihre Mutter war eine hochgewachsene Frau, und auch ihr Vater war größer und kräftiger als jedes männliche Mitglied meiner Familie.

Ich hielt mich gerne bei den Holzinger auf. Sie hatten einen Hasenstall, und oft sahen wir den Tieren zu, wie sie genüsslich an einer Karotte mümmelten. Wir tranken rosaroten Verdünnsaft mit Strohhalm. Ich blieb immer so lange, bis der Herr Holzinger von der Arbeit nach Hause kam. Wie viele Männer arbeitete er in der Vöest und hatte ein Dienstrad.

Er war immer aufgelegt für Schabernack und führte gerne Zaubertricks vor. Wir hockten uns auf den Teppich im Wohnzimmer und sahen ihn erwartungsvoll an. Ich erinnere mich an den Trick mit der Rose. Er zeigte uns eine Schachtel, öffnete sie. Sie war leer. Dann tat er so, wie es Zauberer tun. Er machte allerhand Schnickschnack mit Händen und Worten. Er hielt uns die Schachtel unter die Nase, der Deckel sprang plötzlich auf, und eine riesige Rose entfaltete sich. Ich war beeindruckt.

Ein andermal nahm der Herr Holzinger einen Hammer aus dem Sekretär, der größer und wuchtiger war als jeder Hammer, den mein Opa in der Werkstatt hatte. Der Hammer hatte so ein Mordsgewicht, dass ihn der Herr Holzinger gar nicht mit einer Hand halten konnte. Er ließ sich völlig erschöpft auf den Sessel fallen. Dann holte er kräftig aus, so schnell konnte ich gar nicht schauen, und der Hammer sauste auf sein Knie nieder. Ich erschrak fürchterlich und schrie. Als der Hammer dann auf meinem Oberschenkel landete, merkte ich, es tat überhaupt nicht weh, denn das Ding war aus Schaumgummi und federleicht.

Während es völlig normal ist, dass ein Kind Illusion und Wirklichkeit nicht auseinanderhalten kann, reagiere ich als Erwachsene gelegentlich noch immer so wie damals beim Hammer-Erlebnis. Wenn ich im Kino oder Theater sitze, völlig selbstvergessen, und plötzlich geht ein Schuss los, vorne auf der Bühne, oder es prügeln sich zwei auf der Leinwand, da zucke ich zusammen, blitzschnell, ich halte meine Arme schützend vors Gesicht, als wär‘ ich mitten im Geschehen. Bisweilen schreie ich auch laut auf. Es ist eigenartig, aber diese heftige Reaktion entzieht sich völlig meiner Kontrolle. Und bis heute bin ich sie nicht losgeworden, diese Schreckhaftigkeit. Oft ernte ich verwunderte Blicke. Früher war mir das peinlich, jetzt nicht mehr.

Unlängst erfuhr ich von meiner Mutter, dass der Herr Holzinger, seit 2021 leider Witwer, noch lebt. Ob er für seine 24-Stunden-Pflegerin noch Zaubertricks auf Lager hat, ist ungewiss.

© Sonja M. Winkler 2022-02-23

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