Spricht man über Hände, so geht es oft darum, was sie können und schon geleistet haben, wie stark sie sind, wie beschützend, helfend und gebend. Und da komme ich und zeige meine Hände, die ganz andere Geschichten erzählen. Nichts von Kraft und Tätigkeit, vom Festhalten und Geben, Beschützen und Bewahren. Solche Geschichten bieten meine Hände kaum, obwohl auch ich einiges getan habe.
Meine Hände erzählen vom Schwachsein, vom Kräftemangel, vom Nichtfesthaltenkönnen und von der Bitte um andere – helfende – Hände. Nein, ich habe keine Krankheit, wie man denken mag, kein Leiden, weder altersbedingt noch genetisch oder als Unfallfolge. Ich habe einfach von Natur aus schwache Hände und trotz des Trainings, zu dem man mir immer rät, sind sie nie stärker geworden.
Ich habe wenig Kraft, kann kaum zupacken und festhalten und drücken. Meine Hände dienen eher der Dekoration, wie ich scherzhaft zu sagen pflege, denn sie sind klein, schlank und zart. Sie eignen sich mehr zum Nichtstun und für feine Perlenarbeiten, wie ich sie zuweilen verfertige.
Manche sagen, sie wären schön und ausdrucksstark in den Bewegungen, denn ich rede gern mit ihnen, also vielmehr durch sie. Feenhände hat man sie genannt, Hände einer Dame vom alten Schlag, mit weißer Haut und ohne Spuren geleisteter Arbeit, Hände wie von einem Madonnenbild, Hände eines kleinen Mädchens. Das waren die Komplimente.
Aber auch als Spinnenhände wurden sie bezeichnet, sogar als gruselig, denn ich kann die Finger recht abenteuerlich verrenken und überkreuzen, kann die obersten Fingerglieder rechtwinkelig abbiegen oder die Hände so zusammenklappen, dass kleiner Finger und Daumen einander der Länge nach berühren.
Zum Hebammenberuf hat man mir einst geraten und oft war ich Retterin in der Not, wenn es galt, etwas aus einer sehr kleinen Ă–ffnung herauszuholen. Meine Mutter hatte einen unpraktischen Lampenschirm, wo nur ich die GlĂĽhbirne wechseln konnte, ohne dass man die Lampe zerlegen musste.
Ich selbst halte meine Hände, auch wegen der langen Nägel, für das Schönste an mir, wenngleich die feine Haut langsam etwas faltig wird und am Handrücken Sehnen und Adern mehr hervortreten, was sie aber sogar noch zarter erscheinen lässt. Dabei harmonieren meine Hände nicht mit dem Rest von mir, der mehr Rubens ist als Elfe. Mein Ehering passt wie vor Jahrzehnten, was ich vom Hochzeitskleid nicht behaupten kann.
Ich kenne auch die Nachteile dieser Zartheit, denn zum Öffnen eines Gurkenglases brauche ich einen Dosenöffner, sei es aus Metall oder aus Fleisch und Blut. Schwere Lasten sind nichts für mich und niemals könnte ich mich selbst retten, indem ich mich irgendwo festhielte oder hinaufzöge.
Wäre ich aber der Hänsel aus dem Märchen, so könnte mich die Hexe schon zur Kugel gemästet haben, meinen Fingern hätte dies kein einziges Gramm Fett hinzugefügt. Sie sind immer noch so dünn wie damals, als ich ein Mädchen war und nicht wusste, dass man fürs Leben mehr Kraft sehr oft gut gebrauchen könnte.
© 2022-05-14