von Jamal Tuschick
Ich muss euch das jetzt doch auch noch erzählen. Die erste Verstimmung gab es, als Hannes sich Marianne in einer erotischen Szene ausmalte und Musenzeit Beifall erheischend davon in Kenntnis gesetzt wurde. Als Mariannes Kronzeugin und zugleich als ihre Anwältin konterte Musenzeit senkrecht: „Vermutlich habe ich da gerade eine andere Marianne im Kopf, wenn ich die neue Szene lese. Dass du sie erst einer anderen Figur zugeschrieben hattest, erklärt das natürlich. Marianne ist viel weniger ‚klassisch-devot‘ veranlagt, als das Hannes bisher gewohnt war. Vielleicht geht das so als kleine Textvariante, wie sich die ‚Regisseurin Marianne‘ auf so eine intensive Gedanken-Begegnung einlassen würde: Marianne liebt ihre Bewegungsfreiheit rund um ihre Hüften. Strumpfgürtel würden sich unter ihrem schmalen, leichten Kleid viel zu sehr abzeichnen. Marianne mag keine Zügel, sie lässt sie wieder zu Boden fallen.“
Mit der nächsten Version war Musenzeit einverstanden. Um an einer anderen Stelle fortzufahren – Marianne wuchs in Perth auf. Ihre Eltern trennten sich, als Marianne elf war. Im Augenblick wollen wir nichts von den traurigen Ausläufern der Scheidung erzählen, sondern uns wieder der Koinzidenz zuwenden, dass ein Frankfurter Agent, Journalist und Schriftsteller namens August Kesselmann im ausgehenden 18. Jahrhundert ausgerechnet in Australien seiner Abenteuerlust freien Lauf ließ, mit weitreichenden Folgen für das Burg-Paar Marianne Gould und Hannes Kesselmann.
Rückblende – In der Gegenwart von Damals
Noch hat Großbritannien allenfalls einen Fuß in der australischen Tür. Die britischen Ansprüche sind unbefestigt. Jederzeit könnten sie von Frankreich bestritten werden. Chinesen wandern ein, graben britischen Siedlern das Wasser ab, graben Gold aus und steigen mit einem Kleinvermögen in den Einzelhandel ein. In der Zwischenzeit scheitern amtsgewaltige Siedlungsgründungen.
Das Übelste des Empire kommt in Australien zusammen, der schwache Gouverneur King wird von Bill ‚Bounty Man‘ Bligh abgelöst. Massiv geht Bligh gegen die Schwarzbrennerei vor, Rum ist eine Währung in der Kolonie. Bligh hat schon vorher bewiesen, dass ihm zur Diplomatie die Voraussetzungen fehlen. Er markiert den harten Hund bis zum Anschlag und hat gleich wieder eine Meuterei am Hals. Die Meuterer setzen ihn fest, das kennt er schon.
Kesselmann sieht in Bligh einen Mann, der im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf der falschen Seite stand. In seinen Schilderungen gibt der Chronist seiner Abneigung keinen Raum. Stattdessen erinnert Kesselmann daran, dass Bligh, der als Navigator und Kartograf James Cooks letzte Reise mitmachte, nach dessen Ermordung auf Hawaii das Flaggschiffkommando verlangte.
Nebenbei – Pitcairn hieß die lange für menschenleer gehaltene Insel, die nach der ersten Positionsbestimmung von Philipp Carteret 1767 wieder vom nautischen Radar der Europäer verschwand. 1789/90 landeten da die Bounty-Meuterer mit ihrem Anführer Fletcher Christian. Die Mannschaft fand die Insel unbewohnt, doch nicht frei von Siedlungsspuren. Heute nimmt man an, dass ein Ökozid im 16. Jahrhundert zur plötzlichen Entvölkerung von Pitcairn führte.
© Jamal Tuschick 2024-12-09