Hartnäckigkeit

Daniela Neuwirth

von Daniela Neuwirth

Story
Sylt 2023 – 2025

Sie beeilte sich, weil die Stunde bei ihm ohnehin immer zu knapp bemessenen war, ignoriert, so gut es geht die andere Frau, versucht überflüssigen Blickkontakt zu vermeiden und läuft ihm entgegen, um sich mit ihm in diesem Raum der Vergangenheit durch ihre Hirngespinste und sonstige Beschwerden mit denen sie sich in einer viel zu engen Arbeitssituation „angesteckt“ hatte und nach neuen, besseren Grenzen sucht, zu kämpfen.

„Ob er mir heute mal zuhört?“, fragte sie sich. Es ist der zig-fache Anlauf. Seit mehr als einem Jahr versucht sie, nicht mehr gegen seine Ablehnung, kritischen Blick, diverse Vorurteile, sowie einer Art devoter Stummheit, die sie so noch nie erlebt hatte, und deshalb auch überhaupt nicht wusste, was sie dagegen tun könnte und schließlich schon fast damit abgefunden hätte, mit den Themen anzukommen, derentwegen sie eigentlich einen Spezialisten konsultierte. Sie hatte sich vorgenommen, diesmal nicht mehr am Kampfsessel, zu dem sie sich in einer Situation überreden hat lassen, wo sie noch geschwächt und scheinbar noch unhörbar für ihn war, obwohl sie ein wages Veto dagegen einlegte, Platz zu nehmen.

Ihr war klar, dass sie an diesem Platz in der Rolle einer anderen Person steckte und jemand sein musste, die sie nicht war. Womöglich wie eine der hysterischen, gefühlsüberschwemmten Weiblichkeiten, die sie zuvor im Warteraum an ihr vorbeilaufend wahrgenommen hatte, aber sich bewusst darauf konzentrierte, was für lustige Anekdoten ihre liebe Bekannte, die ihr damals mit einem knallroten Haargummi um den blonden Haarschopf gegenübersaß, zu erzählen hatte.

Sie wollte gerne neben ihm „abhängen“, gemütlich entspannt in die gleiche Richtung blicken – zu einem bestimmten Bild, in welches sie sich von einer Sekunde, auf die andere verliebt hatte und die richtigen Entscheidungen treffen. Sie konnte sich zurücklehnen und entspannen. Lag es daran, dass er sich zurücklehnte und frei war, ohne Technik, Klassifizierungen und Diagnosen. Er konnte mit seinem stützenden Nackenkissen einfach zuhören, was sie überzeugte und sehr reizvoll fand. Es war die Luxusklasse im wilden Treiben des sonstigen Lebens.

Doch schließlich meinte er mit seinem dominanten „Ich bin der erfahrene Könner und weiß, was ich tue“-Ton, ob man aneinander vorbei oder sich ansehen möchte. Die dritte Variante – ihre Idee dazu, kam ihm wohl gar nicht in den Sinn. Es gibt es immer eine dritte, oder auch vierte bessere Idee zu allem – zumindest in ihrem Leben, statt bloßem Wenn oder Aber, Dies oder Das, Jetzt oder Später, Heute oder Morgen, Ich oder Du…

Er war aber diesmal freundlich und entgegenkommend. Ihr Herz war nach dem vielen Hick-Hack, Vertrauen und Abwarten inzwischen zugefroren und das Jahr nicht gehört und gesehen zu werden, als die, die sie ist, verstärkte im Lauf der Monate, den Zweifel, ob jemals darauf eingegangen wird, was sie so lange schon in sich verschlossen hielt. Als sie nun die Perspektive wechseln konnte, wurde der Kindheitsraum ziemlich aktuell und zeitgemäß, der Realität angepasst und plötzlich war die erwachsene Person ihrer selbst wieder präsent.

© Daniela Neuwirth 2025-05-17

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Hoffnungsvoll, Inspirierend, Unbeschwert, Reflektierend
Hashtags