‘Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch.’ Koh 1,2
Im Buch Prediger kommt die Vergänglichkeit der Welt und die Vergeblichkeit, etwas festhalten zu wollen, noch deutlicher zum Ausdruck:
‚Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind. Und ich richtete mein Herz darauf, dass ich lernte Weisheit und erkennte Tollheit und Torheit. Ich ward aber gewahr, dass auch dies ein Haschen nach Wind ist. Als ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand getan hatte, und die Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war es alles eitel und Haschen nach Wind und kein Gewinn unter der Sonne. Darum verdross es mich zu leben, denn es war mir zuwider, was unter der Sonne geschieht, dass alles eitel ist und Haschen nach Wind.‘ (Pred 1,14 – 2,17) Aber warum so pessimistisch? Hat es doch auch etwas Gutes, dass nichts bleibt – nicht das Gute, aber auch nicht das Böse. Und doch sind es die Spuren, die weiterwirken und sowohl das Gute, als auch das Böse weitertragen. Ich möchte glauben, dass das Gute zunimmt, aber das ist wiederum Haschen nach Illusionen.
Haschen ist an und für sich ein zauberhaftes Wort. Es beinhaltet die Leichtigkeit. Hasch mich, aber lass mich wieder los. Ganz besonders ist dieses Wort Kindern zu eigen. Sie haschen nach dem Wind, der Sonne, den Schneeflocken, den Samen der Pusteblumen, nach Seifenblasen, Schmetterlingen, Leuchtkäferchen und nach Liebe. Nicht um zu besitzen, sondern um zu schauen, zu fühlen, zu hören und zu riechen.
‘Hasch mich, ich bin der Frühling’ wird reiferen Damen unterstellt, wenn sie sich zu jugendlich geben. Den Frühling würde ich schon gerne haschen, aber er lässt sich nur für Augenblicke einfangen. In Zeiten der Verliebtheit ist alles ein Haschen nach dem Wind. Ich erinnere mich an einen Frühlingstag, mehr ent- als ge-hüllt in ein blumiges, duftiges, ärmelloses, weit schwingendes Kleidchen, schwebte ich durch den Tag, ohne dass mich eine Sorge drückte, auch kein Begehren und kein Wollen. Ein Zustand der Zeit- und Schwerelosigkeit. Haschen nach dem Wind! Haschen ist etwas Flüchtiges. Es lässt sich nicht festhalten, nicht in Worten, nicht in Bildern und schon gar nicht in Fotos. Sobald es festgelegt ist, ist es tot. Es mag ein Erinnern an das Haschen sein, aber niemals der Moment.
Haschen nach Ewigkeit – eine tiefe Sehnsucht der Menschen, aber auch sie ist nur Windhauch in Glücksmomenten. Zu haschen nach Reichtum, Erfolg, Glück, Ehre, Gott, ewiger Liebe, ewigem Leben, gleichgültig ob Hölle oder Paradies, solange es nur ewig ist. Und viele von uns haschen unentwegt nach einem Sinn des Lebens, nach einem Sinn der Welt, nach einem Gott. ‚Haschen nach Wind‘ meint: Es geht nicht um den sich vorbeiziehenden, sich auflösenden Windhauch, sondern um ein Haschen, um den aussichtslosen, absolut vergeblichen Versuch, das entgleitend Vorbeiwehende zu fassen. (nach Roger Bernheim im Journal 21.ch)
© Christine Sollerer-Schnaiter 2023-04-20