von Lorenz Graf
Nach Jahren waren meine liebe Frau und ich uns einig, besser, meine Frau war sich einig, dass wir ein Haus bauen wollen. Aber es sollte etwas ganz Besonderes sein, eine dritte Haut zum Wohlfühlen. Modern muss es sein, aber mit bewährten traditionellen Werten und Erfahrungen. Wir einigten uns auf eines dieser Holzhäuser, die damals in Mode kamen. Durch die Holzriegel-Bauweise wäre das Haus bald errichtet und auch bezugsfertig. Dazu passend muss die Energieversorgung sein und das Haus sollte viel Licht und Sonne einfangen können. Einen Baugrund hatten wir schon erworben, eine Hanglage am Nordrand der Stadt mit Blick in den Süden und in das Zentrum der Stadt. Da die Bauparzelle aus Bau- und Nutzgrund bestand, war es uns möglich mit geringeren finanziellen Mittel eine große Fläche zu erwerben. Sie war wie geschaffen für unsere Pläne. Um die Sonnenenergie gut nützen zu können, platzierten wir Sonnenkollektoren, damals eine neue Erfindung, am Hang. Sie lieferten uns das Warmwasser. Da ich die Kollektorflächen im Winter ganz leicht vom Schnee befreien konnte, hatten wir auch in dieser Jahreszeit ausreichend warmes Wasser. Die Heizung war eine moderne Weiterentwicklung der genialen Heizung der Römer und wurde mit Holz befeuert. Viel Energie von der Sonne fing der große Wintergarten ein, über den die Wärme sich im ganzen Haus ausbreiten konnte. Wir und unsere Kinder mit ihren Freunden fühlten sich im Haus wohl und geborgen. Sogar die Schwiegermutter, die 20 Jahre lang allein in einem Haus lebte, war dann froh, dass sie zu uns übersiedelt war.
Stolz zeigten wir unseren Gästen das Haus und lobten dessen Vorzüge. Wir erwähnten auch, dass wir vor dem Bauen, drei Wünschelrutengeher kontaktiert hatten, damit sie uns den besten Platz zum Bauen finden sollten. Doch letztlich verrieten mir die Aufenthaltsplätze der kleinen Kinder und die Eichenbäume die Stelle, auf der wir dann das Haus hinstellten. Wir lobten unser Heim, das nach allen bekannten biologischen und radiästätischen Gesichtspunkten errichtet wurde.
Bis eines Tages ein Besucher uns aufmerksam machte, welche Fehler wir nach Feng Shui gemacht hatten. Feng Shui war die heilige Bibel aller alternativ-grünen Häuslbauer. Der Bau hatte zwar einen rechteckigen Grundriss, aber im oberen Bereich gab es links und rechts eine Terrasse. Und genau dort befänden sich nach dem Feng Shui-Bagua-Raster die Ecke für Reichtum und Partnerschaft mit Freunden. Die Zonen für Familie, Kinder, Wissen und Karriere passten ganz gut. Täglich stellte ich fest, dass mein Wissen größer geworden war und auch mit der Karriere ging es voran. Aber die beiden Fehlzonen machten mir zu schaffen. Ich grübelte länger darüber nach, forschte in vielen literarischen, wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen Werken und fand eine Lösung nach Feng Shui. Wir müssten nur bestimmte Kristalle dort befestigen und schon würde alles gut. Das taten wir. Doch der Reichtum blieb uns weiter untersagt. Auch mit den Freunden haperte es. Denn meine liebe Frau hatte bald viele Freundinnen und ich keine einzige. Hatte ich die falschen Kristalle ausgesucht oder diese falsch aufgehängt? Meine liebe Gattin fand es ganz passend, das mit einer Freundin. Ist das nicht Feng Sui-Egoismus von ihr?
© Lorenz Graf 2024-11-05