Haus Der Fische

Tim Grossmann

von Tim Grossmann

Story

Ă–dön Von Horváth schrieb in “Jugend Ohne Gott” von einem Zeitalter der Fische, in welchem die Jugend so kalt und gefĂĽhllos, so seelenlos wie Fische wird. Solche Fischmenschen – Menschen gerade noch – findet man immer wieder in der Welt und spĂĽrt ihr Wirken. Wo nämlich Liebe unbekannt, Empathie ungelernt und Demut ungewollt, dort starren die Fische aus ihren leeren Augen. In manchen Familien gibt es sie, in manchen Schulen gibt es sie, in Ă„mtern und Behörden und bestimmt auch in der Politik. Bei solchen Menschen ist es kĂĽhl und man schaudert, meistens ohne zu verstehen. Ich kenne nun ein ganzes Haus der Fische, eine Sippe voller liebesleerer, kalter Fische. Zu Anfang war mir das nicht klar, sie fĂĽhlten sich nur fremd an, denn sie sind reich und ich bin’s nicht.

Wer in diesem Haus nicht mit dem Strom schwamm, wurde aufgefressen. Die ältere Tochter wird belästert und belächelt, weil sie nicht so sportlich wie die Mutter ist und sie sagen von ihr, mit ihrer “Art” kämen sie nicht klar. Heute weiß ich, welche Art das sein soll, nämlich Ehrlichkeit. Die jüngere Tochter ging mit dreizehn Jahren ins Internat, da hat sich die nähere und weitere Verwandschaft – Onkel, Tanten, Großeltern – auf sie gestürzt: magersüchtig wird sie werden und die Stadt nicht überleben. Damals war sie allerdings schon essgestört und überleben musste sie nur ihre Familie. Auf sie eingebissen hat auch ihre eigene Mutter, ihr Vater schwamm nur still daneben. Dass die Tochter gegen den Strom ankämpfte bekam sie zu spüren, mit solchen kleinen Grausamkeiten, Tag für Tag. Ihren Vater hat sie stets geliebt, weil er tatenlos blieb und sie mehr wohl nicht erwartete, inzwischen aber zeigt sich, dass er stets ein Raubfisch war.

Wie eingangs schon erwähnt sind diese Menschen reich. Sie schenken sich Autos, kaufen sich Wohnungen, spontan, um im Skiurlaub kein Hotel nehmen zu müssen. Die Tochter will nun auf nach Wien, studieren und ihr Leben aufbauen. Ihr Vater unterstützt sie freilich: eine Wohnung will er für sie mieten. Später redet er von kaufen, “als Wertanlage”, spricht nicht mehr von guter Lage für Studenten, sondern zeigt ihr Wohnungen weit außerhalb. Zur gemeinsamen Besichtigung kommt auch die Mutter mit, denn: sie will sehen, was sie kauft, damit ihr auch gefällt, was sie in Wien einmal anstelle eines Hotelzimmers nutzen kann, wenn sie Konzerte besucht und Freundinnen trifft. Da fällt es der Tochter wie Schuppen von den Augen: ihre Eltern wollen eine dritte, vierte, fünfte Wohnung kaufen und die Tochter vorerst darin dulden. In ihr brodelt diese schmerzende Mischung aus Dankbarkeit, denn dazu fühlt sie sich verpflichtet, und Undankbarkeit, denn diese fühlt sie tatsächlich. Ihr Vater, ihr tatenloser Vater, will ihr keine Liebe zeigen, sondern sie abhängig machen. Solche Fische kennen nämlich keine Liebe, verwechseln Abhängigkeiten, die sie selber schaffen, mit Dank. Sie kennen keine Liebe, nur Geschäft und Kalkül.

© Tim Grossmann 2021-05-20

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