von Julie
In der Nähe meines Heimatorts, liegt ein sehr geschichtsträchtiger Ort, dessen klingender Name ambivalente Regungen in mir auslöst. Schloss Hartheim.
Schloss Hartheim ist ein Monument, dessen Geschichte niemals in Vergessenheit geraten sollte. Dessen Vergangenheit es gilt, stets als Mahnmal in den Köpfen der Menschen erhalten zu werden. Schloss Hartheim wurde 1940 bis 1944 als Gaskammer, Krematorium und medizinische Versuchsanstalt unter der (un)geistigen Auslöschungs-Gesinnung: “menschenunwertes Leben” missbraucht. Heute noch ist die bodenlose Schwere dieser tragischen, menschlichen Schicksale in die Schlossgemäuer gemeißelt, ja, gebrannt.
Eine Erzählung aus meiner Kindheit blieb mir bis heute besonders in Erinnerung. Leider kann ich sie nicht mehr verifizieren: Den früheren Einwohnern Hartheims war durchaus bewusst, dass in diesem Schloss etwas Unheimliches vor sich ging. Man schwieg, denn man bezahlte mit dem Leben dafür. Als stummes Mittel der Warnung, bedienten sich die Bauern, deren Felder rund um das Schloss lagen, jener Dinge, die sie auf den Zufahrtsstraßen fanden. Menschliche Knochenreste wurden in Pyramidenform auf den Feldern aufeinander gestapelt, um die umliegende Bevölkerung auf das teuflische Grauen, welches hinter den Schlossmauern vor sich ging, aufmerksam zu machen.
Ich begriff erst spät, dass die historischen Wurzeln des eigenen Herkunftsortes auch ein Bindeglied zur höchst persönlichen Geschichte sein kann. Ein direkter Brückenschlag in die so unvorstellbare Zeit des Nationalsozialismus ist mein heute noch lebender, geliebter Großvater. Er wurde mit 17 Jahren zum Volkssturm einberufen, war jedoch ein glühender Verfechter des Pazifismus. Er hielt zwar eine Waffe in der Hand, doch nutzte er die stets ungeladene Kriegsausrüstung lediglich als Stütze für seinen schweren Rucksack, während er irgendwo im Nirgendwo patrouillierte. In der Nachkriegszeit erbaute mein lieber Großvater aus eigener Kraft das Haus, in dem auch ich später heranwuchs.
Im heutigen Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim wurde 1987, den Jugendjahren meiner Eltern, Fritz Hochwälder’s “Der Himbeerpflücker”, unter großer, positiver Resonanz aufgeführt. Meine Mutter vollführte als ambitionierte Laien-Schauspielerin ihre Rolle auf der Bühne, mein Vater sorgte als Hobby-Ton- und Lichttechniker für das einprägsame Ambiente. Mit Georg Danzer’s “Der alte Wessely” und unterschiedlichsten Beleuchtungsmitteln inszenierte er tiefgreifende Stimmungsbilder. Im Schlagzeugrhythmus der Zwischenspiele im Lied, beleuchtete er das hinter einem weißen Leintuch hängende Hakenkreuz, sodass es seinen düsteren Schatten, untermalt vom aggressiven Trommel- und Gitarrensound, auf dem weißen Grund hinterließ.
Viele Jahre später fand ich selbst im Schloss und Institut Hartheim Tätigkeitsfelder, die mir wertvolle Erfahrungen schenkten.
Foto: Markus Clemens on Unsplash
© Julie 2021-05-05