Heimatgefühl

CaroWoodstock

von CaroWoodstock

Story

Ich bin 12 Jahre alt. Es sind gerade Sommerferien und ich verkrieche mich, wie so oft, in ein Mädchenbuch über Pferde und Stallgeschichten. Dabei liege ich hinter unserem Haus im Schatten. Mein Blick, wenn er sich mal von den Buchseiten wegstiehlt, wandert über unseren Garten. In der Mitte steht die von Papa selbstgebaute Hollywoodschaukel aus Holz, an dessen Seiten jeweils Blumentöpfe mit Pelargonien hängen. Links davon nimmt der Gemüsegarten, den sich meine Mama und Oma zur Hälfte teilen, eine äußerst dominante Position ein. Aus der unmittelbaren Ferne höre ich das vertraute Rauschen des Baches, der sich den Weg durch unser Dorf bahnt. Ich genieße diese Stille, und vertiefe mich wieder ganz in mein Buch.

Heute in genau 1 Monat habe ich meine Matura und bald darauf meinen 19. Geburtstag. Beides Ereignisse, auf dessen Eintreffen ich hinfiebere, allerdings mit unterschiedlichem Bauchgefühl. Wie schon in den letzten Wochen verbringe ich meine Maturavorbereitungszeit ausgestreckt auf der Liege in unserem Garten. Mein Lieblingsplatz ist jener rechts neben der Hollywoodschaukel, wo ich am Vormittag warme, vorsommerliche Sonnenstrahlen aufsaugen kann, und wo mich am Nachmittag ein angenehmer Schatten vor der mittlerweile doch recht starken Sonne schützt. Aktuell tauche ich tief in die Materie der Biologie ein. Genau genommen in die Genetik. Ich strecke meine nackten Zehenspitzen ein wenig mehr in die Sonne und widme mich wieder meinen Unterlagen.

Heute ist mein 25. Geburtstag. Wie fast jedes Jahr, habe ich mit dem Wetter ein riesen Glück, denn es scheint die Sonne und die Temperaturen klettern über die 25 Grad Marke. Meine Mama hilft mir noch bei den letzten Vorbereitungen für den Frühstücksbrunch, den ich in unserem Garten für meine Freundinnen und mich veranstalte. Mein Papa hat den Esstisch in die Mitte des Gartens unter den beiden Äpfelbäumen aufgestellt, und links und rechts davon jeweils einen Sonnenschirm positioniert. Auf den kleinen runden Blumeninseln, die beim Rasenmähen immer freigelassen werden, tummeln sich die fleißigen Bienen, während sie von Blüte zu Blüte fliegen. Ach, wie ich diese Sommertage in unserem Garten liebe.

Meine Oma ist heute gestorben. Ich sitze wortlos auf der Hollywoodschaukel im Garten. Das schöne Herbstwetter spiegelt in keinster Weise den Schmerz in meiner Brust wieder. Ich blicke hinüber zu ihrer Gartenhälfte, und lasse die Tränen über meine Wangen laufen.

Die Ketten der Schaukel knartschen, als ich mich darauf setze. Auch mit meinen mittlerweile 38 Jahren ist dies nach wie vor einer meiner Lieblingsplätze. Der Gemüsegarten rechts von mir steht in voller Blüte, und auch aus dem neu errichteten Gewächshaus rekeln sich die Tomatenköpfe der Sonne entgegen.Im Garten meines Elternhauses überkommt mich eine Ruhe und ein Glücksgefühl, das ich zwar überall auf der Welt gesucht, aber nur selten woanders und aber immer hier gefunden habe. Hier fühle ich mich geborgen und zu Hause.

© CaroWoodstock 2021-03-05

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