von annathaler
„Hier, ein Taschentuch.â ,sag ich zu meiner Freundin. Die Wahrscheinlichkeit in ihren eigenen TrĂ€nen zu ertrinken, als in dem schönen Meer, das direkt vor uns liegt, ist gröĂer.Ich verstehe Heimweh. Wirklich. Aber eine Woche Ferienlager am Meer ohne Eltern sollte doch SpaĂ bringen und nicht traurig machen. Eigentlich sollten wir jetzt mit den anderen im Meer sein. Schwimmen, lachen, schöne Erinnerungen sammeln. Wird wohl auch am vierten Tag im Ferienlager nur eine Wunschvorstellung bleiben und so sitzen wir am Strand, ich mit einem bemitleidenden Blick auf meine Freundin gerichtet. Sie mit dem selbst bemitleidenden Blick auf das Familienfoto, welches die Mutter ihr noch schnell beim Abschied zugesteckt hat.
Schon damals habe ich versucht empathisch zu sein. Mich hineinzufĂŒhlen. Zu verstehen was Heimweh bedeutet. Ist es die Familie und Freunde, die man vermisst? Ist es das Haus, in dem man aufwĂ€chst-die Ortschaft? Vielleicht ist es auch einfach die Gewohnheit und Vertrautheit des Gesamten, die fehlen. So ganz habe ich es noch nie verstanden.
Nicht falsch verstehen. Ich liebe meine Familie und meine Freunde. Ich liebe meine Heimat. Wenn ich die Berge sehe, wenn ich bis spĂ€t abends mit Freunden in der Dorfkneipe sitze und wir in alten Erinnerungen schwelgen. Sogar die groĂen Familienfeiern wo man alle wiedersieht und immer wieder dieselbe Frage beantwortet werden muss: âBist ja kaum mehr daheim-Hast du nie Heimweh?“
Nein. Habe ich nicht. Das ,,weh“im Wort stört mich. Denn ich weiĂ, auch wenn ich am anderen Ende der Welt bin, meine Familie und Freunde sind immer da und Heimat bleibt Heimat. Der Gedanke an sie erfreut mich und auch der Gedanke bald einmal wieder heimzukommen ist schön. TrĂ€nen und Schmerz sind aber weit entfernt. Darum habe ich schon oft darĂŒber nachgedacht, warum es kein Wort gibt, welches das schöne GefĂŒhl beschreibt, das man hat, wenn man nach einer Weile wieder heimkommt. Ein Wort, das meint, wenn man irgendwo im nirgendwo allein ist und der Gedanke an die Heimat und an Menschen die einem nahe stehen, einem freudig stimmt.
Heimfreude nenne ich das nunmehr- die Freude heimzukommen. Und wenn ich auf den Familientreffen wiedermal den Klassiker unter den Fragen ausgeliefert bin, gibt es immer die eine Antwort:
„Nein, ich habe nur Heimfreude.“
© annathaler 2021-05-05