Hello, a new emotion

streetbirdy

von streetbirdy

Story

Menschen mit Borderline können Emotionen deutlich intensiver fühlen als Menschen ohne Borderline. Das ist Fluch und Segen zugleich. Ich liebe so unfassbar intensiv, aber ich hasse auch intensiv. Natürlich kann ich verstehen, dass insbesondere starke, negative Gefühle anderen Menschen Angst machen können. Doch ich würde niemals einem anderen Menschen physischen oder psychischen Schaden zufügen. Ich lehne jegliche Gewalt ausnahmslos ab. Mal abgesehen davon, dass es moralisch richtig ist, Gewalt abzulehnen, habe ich selbst in meinem Leben genügend Gewalt erfahren.

Das Problem mit den intensiven Emotionen ist nicht, dass sie so intensiv sind. Ich weiß ja nicht wie intensiv andere Menschen fühlen, von daher will ich das gar nicht als Maßstab setzen. Das Problem ist, dass ich eine innerliche Unausgeglichenheit besitze, weswegen teils die kleinsten Situationen reichen, um die Emotionen wechseln zu lassen. Täglich, stündlich und manchmal sogar minütlich. Das ist unfassbar anstrengend. Diese „sensible Antenne“ sorgt einerseits dafür, dass ich nicht nur meine eigenen Emotionen extrem stark wahrnehme, sondern auch die von anderen Personen. Tatsächlich ist es so, dass Menschen mit BPD sehr empathisch sein können und auch deswegen so oft in sozialen Berufen anzutreffen sind. Das schließt mich mit ein.

Doch diese sensible Wahrnehmung von Emotionen ist wie bereits beschrieben ein Fluch und ein Segen zugleich. Manchmal fange ich vor Freude an zu weinen, wenn ich einen niedlichen Hund sehe. Wenn meine beste Freundin mir ein Herz-Emoji schickt, fange ich an zu hüpfen und wenn mein Crush mir ein Kompliment macht, kann ich vor Aufregung nächtelang nicht schlafen. So intensiv zu fühlen ist wahrlich eine Superkraft (und manchmal etwas anstrengend). Ich nehme meine Umwelt, mein Umfeld und meine Mitmenschen so intensiv wahr, was ein einzigartiges Geschenk sein kann. Schneller die Probleme von Menschen erkennen, Emotionen leichter erkennen und lesen können und einfach nur zu fühlen. Das schaffen manche Menschen gar nicht oder nur auf einem LSD-Trip. Doch die Schattenseite sind natürlich die negativen Gefühle. BPD ist ein Spektrum und nicht jeder Mensch mit BPD fühlt gleich, weswegen auch diese Schilderungen der gefühlten Emotionen ausschließlich aus meiner subjektiven Sicht geschrieben wurden und nur meine Perspektive zeigen. Denn die kleinsten Ereignisse können mich so unendlich wütend machen. Menschen, die langsam vor mir laufen oder alte Menschen, die an der Kasse vor mir in Zeitlupe mit Kleingeld bezahlen, treiben mich zur Weißglut. Was dann passiert? Ich stehe dann einfach dort, schlucke meine Wut runter und übe mich in Geduld. Doch das sind nur Alltagsmomente. Jede Form der Ablehnung fühlt sich an wie ein Messerstich ins Herz. Wenn meine beste Freundin sich nicht meldet, denke ich oft, sie hasst mich. Das entspricht nicht der Realität und das weiß ich. Ich weiß, dass ein Großteil meiner verzerrten Wahrnehmung zu Emotionen führt, die das falsche Ausmaß haben. Ich habe gelernt, damit umzugehen. Manchmal macht mich eine kleine Sache so wütend, dass ich – wenn ich alleine Zuhause bin – Tassen gegen die Wand werfe und ich finde das okay. Der einzige Nachteil ist, dass ich seit Jahren einen überdurchschnittlichen Verlust an Tassen produziere, doch das ist okay.

© streetbirdy 2024-09-17

Genres
Romane & Erzählungen