von LouGrey
Man kann nicht in die Zukunft sehen.Es geht nicht.Die Geschwindigkeit des Lichts beträgt 299.729,458 Kilometer pro Sekunde. Oder eben 299.729.458 Meter pro Sekunde. Das ist zwar verdammt schnell, aber es bedeutet auch, dass das von einem drei Meter entfernten Gegenstand reflektierte Licht 1,00069229*e^(-8) Sekunden benötigt, um auf meine Netzhaut zu treffen. Und dann dauert es noch ein paar Bruchteile einer Sekunde, bis der Lichtreiz in ein elektrisches Signal umgewandelt wurde und über eine lange Reihe vieler, vieler winziger Neuronen endlich das richtige Areal meines Gehirns erreicht.Klar geht das alles wahnsinnig schnell. Natürlich denken wir, wir sähen in Echtzeit, doch so funktioniert es nunmal nicht.Ein Blick von der Erde zum Mond zeigt in der Regel ein Bild, das 1,28 Sekunden in der Vergangenheit liegt.Unser Sonnenlicht ist etwa acht Minuten alt. Ständig. Immer. Hinterher.Man mag meinen, das macht nichts aus, und vielleicht tut es das auch nicht, aber all diese Verzögernungen sind Augenblicke, in denen die Welt weitergeht, bevor wir es sehen.Eine milliardenstel Sekunde, in der eine Blume etwas mehr verwelkt; Oder Jahre, in denen ein Stern verglüht.
Wir leben zeitversetzt. In der Vergangenheit. Sind nie wirklich ‘up to date’. Nie ganz im Jetzt.
Und wenn wir nicht einmal die Gegenwart wirklich sehen können, wie sollen wir dann in die Zukunft blicken?
Manche Menschen verlassen sich auf Dinge, von denen sie glauben, dass sie die Zukunft lenken oder wenigstens vorausbestimmen können. Tarotkarten, Horoskope, Orakel, Kristallkugeln, Gott.Manche sagen, man könne nicht wissen oder beeinflussen, was passieren wird. Es sei Zufall oder Schicksal oder Vorherbestimmung.Und wieder andere verlassen sich nur auf sich selbst. Sie machen ihre Zukunft.- Von diesen Ideen mögen alle oder keine stimmen, wer weiß das schon?
Man kann nicht in die Zukunft blicken. Es ist nicht möglich. Kein Mensch weiß wirklich, was kommen mag und was Folge jeder Kausalität ist oder wie die Würfel beim nächsten Mal fallen werden.
Doch wenn ich in der Sonne liege und die Augen schließe, sehe ich nicht nichts. Ich sehe ihr acht Sekunden altes Licht auch noch durch die Augenlider. Jetzt ist es rot und gelb gefärbt. Wie bei einem strahlenden Sonnenuntergang. Oder einem Sonnenaufgang. Egal. Es ist sowieso das Gleiche.Und wie ich da liege und nicht nichts sehe, denke ich, dass es das ist. Das Licht mag zwar alt sein und die Sonne hätte in diesen acht Sekunden auch aufhören können zu scheinen – ich wüsste es ja noch nicht – aber ohne ihr Licht könnte ich gar nicht sehen. Ich sähe meine Hand vor Augen und den Weg vor meinen Füßen nicht. Die langsam verwelkende Pflanze wäre nie gewachsen.
Wir können nicht in die Zukunft sehen und auch das Jetzt bleibt uns verwehrt, doch was bleibt, ist noch ein Sonnenstrahl. Die Blütenknospen. Und die Hoffnung.
© LouGrey 2022-03-23