von Lena Schneider
Ich spüre sie. Sie kommen. Dieses Mal bin ich mir nicht sicher, woher sie kommen. Es ist wie eine Wasserrutsche in einem riesigen Freizeitpark. Der Freizeitpark mein Körper, die Wasserrutsche meine Augen, der Start-Knopf ein auf Drogen gesetztes Schaf, das willkürlich Knöpfe drückt. .Vielleicht hat das Schaf nicht einmal Drogen genommen, sondern ernährt sich ausschließlich von Hormonen. Und wie wir alle wissen, sind Hormone lebenslang in der Pubertät, launisch und launenhaft. Herman, das Schaf hat wieder zugeschlagen. Er ist auf den Start-Knopf getreten. Die Wasserrutsche geht in die nächste Runde. Meine Mundwinkel fangen an, meine Augen ziehen nach, Tränen kullern. Neben mir liegt Krizun. Krizun’s Kopf scheint anders zu funktionieren. Ich weiß nicht, ob er einen Herman hat und selbst wenn, hat Herman strenge Regeln auferlegt bekommen, da bin ich mir sicher. Krizun’s Herman lebt bestimmt nicht auf einer freien Wiese, auf der er Knöpfe drücken darf, wann immer er möchte. Ich schweife ab. Herman hat meinen Knopf gedrückt. Meine Augen weinen, mein Kopf versucht, hinterher zu kommen.
Krizun hat Herman’s Anfall bemerkt und fragt, warum ich weinen würde. Ob es ein Smile-Cry wäre. Ich frage Herman. Herman checkt meine Mundwinkel und schüttelt den Kopf. Ich mache es Herman nach. Kein Smile Cry. Ich bin auch nicht glücklich genug für ein Smiley-Cry. Für ein Smile-Cry fehlt mir vieles – eines davon ist Sex, da Krizun und ich scheinbar eine körperliche Mauer zwischen uns gebaut haben. Ob Schafe Orgasmen haben? Ich drifte ab. Ich frage Google. Ich frage Google lieber im Incognito-Modus. Nicht, dass auf meinem nächsten Arbeits-Meeting beim Chat über Haselnuss-Sortier-Technologien neben meiner Pole im Hintergrund auch noch Schafs-Viagra im Hintergrund aufpoppt. Ich lande auf sehr falschen Google-Seiten, habe neue Fragen über die Menschheit gesammelt und stelle meine Frage über das Sexualleben von Schafen nach hinten an. Ich schweife ab.
Ich bin überrascht über Krizuns Frage nach dem „Smile-Cry“. Ich fühle mich nicht danach. Herman hat den Knopf für etwas anderes gedrückt. Ich bin mir nicht sicher, was es ist. Vielleicht Trauer. Trauer darüber, dass ich mich in den letzten zwei Tagen mehr bevormundet gefühlt habe, als ich es wollte. Trauer darüber, dass ich Krizun und meinen Gästen keine angenehme Gastgebererfahrung bieten kann, weil die Mieten in Köln utopisch sind und mein Gehalt als Doktorandin unterirdisch sein wird. Trauer darüber, dass ich schon ein kleines Stück von meiner Wolke gefallen bin. Ich versuche, Krizun Teile davon zu erklären. Bei einigen Teilen hört Krizun weg, wie so oft. Ich möchte ihm sagen, dass ich noch nicht weiß, wie ich ihn behalten soll. Aus dem „Ich weiß nicht, wie ich dich behalten soll“, das in meinem Kopf kreist, wird ein „Ich werde dich nicht halten“. Krizuns Augen weiten sich und schließen sich dann. Ich sehe nicht viel. Herman hat den Stoppknopf noch nicht gefunden, die Wasserrutsche fließt noch eine Weile. Krizun fragt mich, ob ich ihn wieder einladen würde. Herman und ich nicken zustimmend. Krizun fragt, warum. Ich finde die Frage sinnlos. Mein Herz möchte gerne die Sprachsteuerung übernehmen und Liebe gestehen. Aber Herman und mein Hirn stoppen es und erzählen etwas anderes. Irgendwann stoppt Herman. Krizun sagt, ich solle mal chillen. Herman ist verärgert. Ich bin müde.
© Lena Schneider 2024-03-16