von Walter Weinberg
Mein Grindr Profil wurde mit einem „Fire“ geliket! Darauf antwortete ich wie immer mit: „Hi!“ Während ich auf seine Reaktion wartete, warf ich einen Blick in sein Instagram Profil. Der 23-Jährige hatte einen ausgeprägten Selbstdarstellungsdrang. Seine Haare waren stark blondiert, und er posierte sehr auffällig im öffentlichen Raum. Sein Profilname „Hermes“ ließ darauf schließen, dass er so etwas wie eine Kunstfigur sein wollte.
Inzwischen schrieb er mir: „Hi! Wie gehts?“ Nach ein paar belanglosen Sätzen fragte ich, ob er Lust auf ein Treffen hat. „I´m a kind a busy these days!“, teilte er mir mit, und er sei aus Oberösterreich. Erst nächste Woche hätte er wieder mehr Zeit. Ich beendete den Chat: „Meld Dich einfach, wenn Du wieder da bist und Zeit für mich hast!“
Eine Woche verging und er meldete sich tatsächlich: „Hi! Bin in Wien!“ Auf meine Frage, ob er Zeit hat, folgte: „Nee sorry! Bin busy!“ Ich gab auf und wendete mich anderen Typen zu. Auf seinem Profil sah ich, dass er nur wenige hundert Meter von mir entfernt war, aber wenn er nicht will, dann eben nicht!
Am nächsten Morgen schrieb er: „Du schon wieder!“, worauf ich antwortete: „Ja, ich schon wieder!“ Er fragte: „Wohnst Du hier?“ „Ja!“ „Im Park Hyatt?“ „Nein!“, und das wars schon wieder!
Nach einer Stunde schrieb er: „Ich habe jetzt Zeit!“ Ich war überrascht. Er wollte, dass ich in ein „gesundes“ Restaurant komme, wo er am Brunchen ist. Ich hatte gerade gefrühstückt, und wollte nicht schon wieder essen. Er fragte: „Kommst Du?“ „Nein! Wir treffen uns, nachdem Du gebrunchst hast!“ Er meinte: „Ok, ich hab eh noch nicht bestellt! Hohl mich ab!“ Ich entgegnete: „Ich muss mich erst fertig machen, also hohl Du mich ab!“ Ich gab ihm meine Adresse und schrieb, er soll bei 13 läuten.
Nach gefühlt einer Minute schrieb er: „Ich bin da!“ „Echt?“, fragte ich ungläubig: „Vor der Hausnummer 7?“ „Ja!“ „Ich komm runter!“ Nach ca. drei Minuten stürmte ich noch mit offener Hose zum Lift, da ich Angst hatte, er würde aus Langeweile wieder abzischen! Im Lift richtete ich mir meine Haare. Als ich durch das Fenster der Haustür blickte, sah ich von hinten einen in giftgrün gekleideten Blonden, der mit seinem Smartphone beschäftigt war. Beim Rausgehen grüßte ich. Er drehte sich um und sah mich verdutzt an. Mein Blick musste für ihn ebenso gewirkt haben!
Er steckte in einem engen grünen Adidas Jogginganzug, wobei das Oberteil seine dunklen Brusthaare bis zum Nabel freigab. Um seinen Hals war eine eng anliegende „Hundekette“ im Miniatur-Format. Irgendwie wirkte er, als wollte er angeleint werden, wie ein devoter Sex-Sklave. Seine wasserstoff-blonden Haare hatte er streng zurück gegelt. Er öffnete den Mund und ich befürchtete Schlimmstes! Zu meiner Überraschung hatte er eine tiefe männliche Stimme und gab sich auch eher wie eine männliche Schwuchtel. Also Tunte war er Gott sei Dank keine, obwohl er unbedingt auffallen wollte und wie eine echte Bitch aussah! Was will ich mit so einem jetzt allen Ernstes machen?
© Walter Weinberg 2020-08-05