von Michael Stary
Weihnachten war meistens Kacke. So tun als ob, kurzzeitige Versöhnungsszenen für ein pseudointaktes Familienbild. Es musste an dem Datum halt passen. Schließlich ist es das Fest des Jahres, wo alle singend am glitzernden Baum stehen und sich aus tiefstem Herzen lieben. Mag sein, dass es so was gab und gibt. Auch ich erlebte später dankbar korrigierende Erfahrungen, wo der Wert und das Gefüge stimmten. Es gibt Erinnerungen an Raumschifflego, Skibrille und Stirnband im fancy Regenbogendesign mit einem großen, weißen LOOK auf der Vorderseite. Ganz nach dem Aufruf: Sehet ihn an!
Vergebens. Kein Wunder also, dass ich, sobald es mein Alter zuließ, am Heiligen Abend das Weite suchte. Anstandshalber und pflichtbewusst gab es noch das Essen mit einer zumeist sturzbetrunkenen Mutter, die alle Mühe hatte, nicht aus der Fassung zu kippen. Alles riss sich zusammen, um die Emotionen zu schlucken. Wir spielten mit. Papa feierte in anderen Gebieten. Sein Christkind kam an einen anderen Ort. Jahre zuvor war er mal kurz vor Weihachten untergetaucht, keiner wusste, wo er sich aufhielt. Ein eher ungünstiges Szenario für junge Kinder mit einer Mutter, die sich gerne mal spontan nach dem Jenseits sehnte. Wahre Verantwortung war ein Fremdwort. Für den alljährlichen Baum reichte es trotzdem immer wieder.
Sobald der offizielle Teil vorbei war, flüchtete ich. Immer ein ganz schreckliches, schlechtes Gewissen im Gepäck, da immer was passieren konnte. Ich war draußen, doch ein Teil von mir konnte es nicht wirklich genießen. An einem dieser Abende trafen wir uns in gewohnter Runde der Verweigerer und Freunde des breit gefächerten Konsums zum Nachtisch.
Es gab Heroin nach dem gehassten, familiären Zwangsmahl. Ein besonderer Moment. Ich schluckte viel, doch davon nahm ich, so gut es ging, Abstand. Zu grausam die Bilder der bekannten Menschen in der Stadt, die eine Regelmäßigkeit zu dieser Droge entwickelten. Und die Nadel in eine Vene gab es auch nie. Das war mir einfach zu tief. Diese Etage steuerte ich nicht an.
Im schummrigen Licht der kleinen Wohnung des Gastgebers zog ich mir das braune Pulver mit einem Röllchen in die Nase. Im Hintergrund lief entspannende Musik. WHAM war es sicher nicht. Ich lehnte mich zurück und wartete aufgeregt auf die Wirkung der Premiere. Diese ließ nicht lange auf sich warten. Ein friedvolles, inneres Abdriften setzte ein. So wohlig, dass es nicht mal mehr ein Bier brauchte. Hin und wieder ging ein Joint herum. Die verschobene Welt rückte sich in eine vorübergehende Ordnung. Es gab kurze Übelkeitsschübe, wenn ein paar letzte Pulverreste den Gaumen mit dem hochgezogenen Rotz hinunterrannen. Das war nicht weiter schlimm.
Ich begann zu verstehen, warum Menschen auf diesen Stoff abfahren und diesen Turn immer wieder haben wollen, ohne meinen deutlichen Respekt davor zu verlieren. Und ich hatte es gar nicht in der Vene. Gut so. Selbstschutz und Vernunft waren zumindest noch anwesend und zogen eine Grenze auf.
© Michael Stary 2020-10-26