Das Drama beginnt völlig unvorhersehbar am Vortag.
Auf den Wegplatten sehe ich dunkle Flecken. Aha, der Holunder ist reif! Kurz entschlossen wird die hohe Leiter aufgestellt und das Pflücken beginnt. Wo ich mit den Händen nicht hinreiche, schneide ich mit der langen Astschere die Zweige mit den meisten Beeren direkt ab. Die anderen Dolden ergreife ich und kappe sie. Plötzlich ein heftiger Stichschmerz an der Wurzel des linken Zeigefingers und mir wird richtig übel vor dieser hinterhältigen Überraschung. Schnell verpasse ich mir einen Umschlag, umhülle ihn mit Küchenfolie und Bandage. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als behindert weiterzumachen. Die oberen Früchte lasse ich allesamt für Vögel und Insekten hängen.
Das Unterfangen dauert ganze fünf Stunden, bis ich die Beeren nun auch mit der nicht völlig funktionstüchtigen Hand abgestriffen, gewaschen, gekocht, durch die Flottelotte getrieben und den erhaltenen Saft eingekocht habe. Ich spare mit den Zutaten, verwende wenig Zucker, etwas Zitronensäure und ein bisschen Rest Quittin zum Gelieren. Das Ergebnis ist zu köstlich! Direkt vom Baum in die Gläser, der volle Geschmack der dunklen Hollerbeeren gibt dir das Gefühl, rundum wohlgenährt zu sein. Ich kann nicht widerstehen und konsumiere den gesamten Saft aus einem Glas, das nicht mehr zur Gänze befüllt werden konnte. Zufrieden geht’s dann ans Abwaschen, Kompostieren der leeren Zweige und Zerkleinern der Äste im Garten. Ende gut, alles gut!
Am nächsten Morgen wird mir bewusst, dass ich ja den Tag außer für Routineaktivitäten zum Faulenzen genießen kann, ein einmaliges Ereignis. Keine Termine, die mich begrenzen, ich darf in den schönen Sommertag hinein leben. Die Sonne scheint vom tiefblauen Himmel, es ist ganz und gar nicht heiß, sondern wohlig warm. Ein trockener Tag im Hochsommer, den es selten gibt.
Ich gehe eine kleine Runde mit den Stöcken. Mit einer Gartenzange hole ich mir einige Rosenstecklinge von einer meterlangen Hecke, die dichte erdbeerrote Röschen trägt. Die setze ich zu Hause ein, spanne die weißen Schirme auf, decke den Terrassentisch und es wird südlich. Nichts als Schönheit ringsum.
Gegen den späteren Nachmittag möchte ich doch noch eine längere Strecke walken und dabei Milch kaufen, weil ich die kleine Hauskatze im Moment zu betreuen habe. Sie liebt neben dem Futter einmalig in der Früh eine kleine Schale gewärmter Milch, die sie nur bei mir kriegt. Ich denke, sie ist ein Bauernkätzchen und ein bisschen normale Milch schadet ihrem Organismus nicht. Vor allen Dingen ist sie ganz wild darauf, vielleicht gefällt ihr auch gerade dieses tägliche Ritual hier bei mir.
Ich beschließe, eine Strecke mit dem Bus zu fahren, und nach dem Einkauf heimwärts zu wandern. Dann kaufe ich doch mehr ein als geplant, die beiden Taschen hängen schwer an mir, der Bus nach Hause ist schon weg.
Der Berg liegt vor mir, jetzt wird’s heiß und schwierig. Zudem spüre ich ein unangenehmes Drängen, ich werde wohl nicht…?
© Barbara Riccabona 2022-08-11