von Stefanie Höring
Es ist eine Erinnerung von der Sorte, bei welcher man sich ganz sicher ist, ob es wirklich so passiert ist. Ob es wahr sein kann. Und dann hält man plötzlich inne und ist sich ganz sicher: Die Erinnerung ist zu real, um nur ein Hirngespinst zu sein.
Ich bin in der Volksschule. Unser Turnsaal ist groß und wahnsinnig hoch. Altbau. An der Seite hängen die Ringe. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber ich hänge dran, mit beiden kleinen Händen halte ich die Ringe fest umklammert, und die gesamte Klasse zieht mich bis hoch oben an die Decke. In meiner Erinnerung hatte ich keinerlei Angst. Und schon gar keine Befürchtung, was passieren könnte, würde ich loslassen. Oder sie mich. Die Lehrerin kommt in den Turnsaal, sieht mich da oben baumeln. Ihre Augen weiten sich. Sie starrt an die Decke, wird blass um die Nase und schickt die Kinder an, mich langsam wieder abzusenken.
„Nicht loslassen, hört Ihr?“ Ihre Stimme zittert. So kenne ich sie gar nicht. Als ich wieder festen Boden unter mir habe, sehe ich in anerkennende Gesichter. Und ich ahne damals schon: so viel Bewunderung für so wenig Aufwand wird es wohl nie wieder geben.
Ich trage kaum noch Ringe. Wenn man sich, Pandemie sei „Dank“ so oft die Hände wäscht, geht das einfach nicht mehr. Überhaupt spart man einiges ab 2020: Concealer, Jeans (Leggings tun es doch auch, die passen auch besser, sollte man sich mal wieder an den Prepper-Vorräten vergriffen haben), Lippenstift und Parfum (kommt einem ja ohnedies niemand mehr nahe und wenn, dann mit Maske). Ich gehe nicht immer aufs Lehrerinnenklo. Zu weit. Wenn ich aus einer Kabine aus dem Kinderklo trete, hören die Mädels auf zu sprechen. Sie starren mich an. Über ihren Köpfen große Gedankenblasen: „Was macht die Alte da? Ist die Lehrerin? Wieso geht sie auf unser Klo?“ Die Mädchen sind, YouTube-Tutorials sei Dank, so viel besser geschminkt und gestylt als wir damals. Oder heute.
© Stefanie Höring 2022-08-02