von Jessica Kühn
Meine Mum hat mir immer schon gesagt, dass ich ihr Empathiegefühl geerbt habe. Das Gefühl hat sich innerhalb der letzten Jahre auch immer wieder innerhalb meines Freundeskreises und unter meinen Kollegen bestätigt, in Situationen, in denen ich die Trauer der vor mir stehenden Person als einzige bemerkte. So wie in diesem Moment. Als er mir sagte, dass er nur einen schwarzen Kaffee wolle, hörte ich hinter seinen Worten seine Trauer heraus. Und ich hatte plötzlich das Gefühl, ihn trösten zu wollen und den Grund dafür zu erfahren. Ohne darüber nachzudenken, sagte ich beim Überreichen des Kaffees: „Du siehst irgendwie traurig aus.. ich meine, ich kenne dich nicht, aber wenn du reden willst, weißt du jetzt ja, wo ich bin, ich arbeite noch bis 22 Uhr heute.“ Während ich diese Worte mit einem Lächeln aussprach, glühten meine Wangen und ich fragte mich, mal wieder, was mich zu so einer spontanen Aussage bewegte. Hätte ich nicht einfach meinen Mund halten können? Und im selben Moment wusste ich noch nicht, dass diese Frage, mein gesamtes restliches Leben auf den Kopf stellen würde. Das mit einem Kaffee die schwerste und zugleich glücklichste Zeit meines Lebens beginnen sollte. Sein Blick wurde in dem Moment, als ich ihn diese Frage stellte, noch trauriger aber gleichzeitig sah er verwundert aus. Als hätte er genauso wenig wie ich mit so einer Reaktion gerechnet. Er schaute mich nur weiter an, bezahlte dann und sagte beim Herausgehen nur: „Danke“. Beim Herausgehen musterte ich diesen geheimnisvollen Jungen von oben nach unten. Er hatte schwarze Lederschuhe, eine dunkelblaue Cargohose, eine silberne Armbanduhr und ein weißes langärmliges an den Armen hochgekrempeltes Hemd an. Seine braunen Haare fallen an seinem Hinterkopf wuschelig herunter. Als ich ihm so hinterhersehe, dreht er sich nicht noch einmal um und schaut während des Gehens zu Boden. Warum habe ich gehofft, er würde sich noch einmal umdrehen. Und warum ist er anscheinend so in sich gekehrt? Ich möchte mehr über ihn wissen sind meine Gedanken. Wenn man noch nie an einer Tankstelle gearbeitet hat, muss man wissen, dass Menschen kommen und gehen. Es gibt Menschen, die wirst du nie wieder sehen (meistens sind das Urlauber), dann gibt es die Stammkunden, die du jeden Tag siehst (sei es um Schnaps abends zu kaufen oder morgens die Brötchen leer zu kaufen). Und dann gibt es die Normalos (wie du und ich), die in der Nähe wohnen oder den Arbeitsort in der Nähe haben und ab und zu mal tanken kommen. Da ich diesen Jungen nie zuvor gesehen habe und seit 2 Jahren bereits hier arbeite, ging ich davon aus, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Sehnsüchtig schaue ich aus dem Tankstellenfenster ihn in seinem schwarzen VW Passat hinterher. Und dann war er weg. Es war knapp 19 Uhr. Noch 3 Stunden zu arbeiten. Das schaffst, du sagte ich selbstbewusst zu mir selbst. Eine Stunde später, in der ich noch ein paar Mal geistesabwesend Kunden bediente, hatte ich die Situation so gut es ging wieder vergessen und war mir sicher, dass mein Leben auch ohne diesen Jungen weitergehen würde.
© Jessica Kühn 2024-08-30