von Jana Sajin
Mittwoch, 3. Mai 2017
Ich denke, jeder Mensch hat einen Ort, ein Lied, einen Film oder ein Essen, dass einem das Gefühl von Geborgenheit gibt. Für mich ist es eine Bank- die Bank im großen Hinterhof des Mayfair Altenheims. Sie steht direkt unter einem riesigem Madelblütenbaum und wenn man auf ihr sitzt, blickt man auf einen schönen, kleinen Teich und die Hinterseite des riesigen weißen Gebäudes.
Nach meinem Herzinfarkt im Oktober hat meine Tochter mich hier hergebracht, sie meinte, mein Anwesen in Mayfair sei für mich allein zu groß und sie fühle sich wohler, wenn ich in einem Altenheim wohnen würde. Seitdem komme jeden Nachmittag hier her und denke über alles Mögliche nach. Diese Bank hat eine magische Wirkung auf mich, denn sobald ich mich hier hersetzte, sind meine Gedanken ganz woanders. Ich bin eine sehr selbstständige Frau aber, nach dem Tod meines Mannes war unser Anwesen auf Mayfair sehr einsam und ich weiß selbst, dass es das Beste für mich ist, in ein Altenheim zu wohnen. Zugeben würde ich das niemals. Als ich mich daran erinnere, dass ich um 15 Uhr Besuch bekomme werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Meine Tochter und meine zwei Enkelinnen kommen heute zu Besuch, genau genommen kommen sie jeden Mittwoch. Ich blicke nach unten auf meine Uhr und erschrecke leicht, als ich bemerke, dass es schon fünf nach 15 Uhr ist. Ich hole meinen kleinen goldenen Handspiegel aus meiner Tasche und bessere meinen Lippenstift ein wenig aus. Mein weißes Haar habe ich heute leicht gewellt und ich trage meinen weißen Strickpullover, den ich mir selbst gestrickt habe. Da höre ich schon die sanfte Stimme meiner Tochter als sie um die Ecke kommt. Sie weiß mittlerweile, dass ich mich hier befinde, wenn ich nicht gerade auf meinem Zimmer oder im Speisesaal bin. Meine zwei Enkelinnen kommen auf mich zu gerannt und beide haben mir unglaublich viel zu erzählen. Doch so gerne ich Lisa und Marie auch zuhöre, so sehr warte ich darauf bis die beiden mit ihren Erzählungen fertig sind und ich ein wenig Zeit habe, um mit meiner Tochter zu sprechen. Sie sieht seit ihrem Besuch ein wenig bedrückt aus und ich möchte wissen, ob etwas nicht in Ordnung ist. Als Lisa und ihre kleine Schwester sich ein wenig von uns entfernen, um auf der großen Wiese zu spielen, frage ich Sophie sofort, ob alles in Ordnung ist. Sie nickt aber ich spüre, dass da etwas ist, dass ihr Sorgen bereitet also frage ich nochmal nach. „Naja es gibt da schon etwas, dass mich ein wenig bedrückt“, gesteht Sophie. Ich kann mir schon denken, worum es geht, denn sie hat nach einem langen Mutterschaftsurlaub vor einem halben Jahr wieder begonnen zu arbeiten und die Arbeit als Anwältin hat ihr nie besonders Spaß gemacht. Ich liege richtig mit meiner Vermutung. „Es ist nicht, dass es mir gar keinen Spaß, es erfüllt mich einfach nicht“ erklärt Sophie. Ihre Antwort versetzt mir einen kleinen Stich ins Herz, denn ich weiß nur zu gut wovon sie spricht. Ich war auch Anwältin und es ist ein toller und sicherer Beruf, aber erfüllt hat es mich auch nie und als ich höre, wie meine Tochter von Erfüllung spricht, fühle ich mich in meinem innersten berührt. Deshalb überrascht meine Antwort sogar mich selbst als ich sage, „Dann tu das was dich erfüllt, Schatz“.
© Jana Sajin 2024-08-31