Herzklopfen am Nordkap

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story

Meine Gedanken gehen immer wieder zum Nordkap. Hab ich das wirklich erlebt? Könnt ihr mir das glauben? Von meiner Reise zum Nordkap habe ich schon viel geschrieben. Der Weg war mir fast wichtiger als das Ziel. Obwohl natürlich, auf diesem Felsen zu stehen, das sich kräuselnde Eismeer zu Füßen, in die Arktis blickend, war schon ein erhebendes Erlebnis. Wir fielen uns in die Arme und lachten und weinten, obwohl wir dieses Ziel ganz ohne Anstrengung erreichten, kutschiert mit Schiff und Bus und nur ein kurzer Fußweg. Würden wir die Mitternachtssonne sehen? Mir war es nicht mehr so wichtig – ich bin in Hammerfest auf diesem Berg gesessen und habe die hellste Nacht meines Lebens und die nicht untergehende Sonne erlebt – magisch.

Die Fahrt von Horningsvag, der malerische Hafenstadt, zum Kap bezauberte besonders wegen der kargen Landschaft, immer wieder Wollgraswiesen und Moore, Rentierherden und bizarre Ausblicke zu Felsen und Fjorden. Nachmittags noch Sonne, am Abend Sturm und Wolken und ein tolles Farbenspiel am Himmel, gespiegelt im gekräuselten Eismeer. Gleißende gelbe Lichtbahnen erweckten die Hoffnung, dass sich die Mitternachtssonne doch noch durchsetzt.

Francesco Negri, ein italienischer Pfarrer und Wissenschaftler, war der erste Tourist am Nordkap – 1664. In seinem Buch Viaggio Settentrionale hat er seine Erlebnisse aufgeschrieben. Heute sind es Tausende von Menschen, die dieser magische Punkt anzieht. Im Nordkapzentrum gibt es viel Information und eine berührende Kapelle.

Manche Wege sind weit und manche sind wichtiger als das Ziel. Abseits der Menge saß ich über dem ruhigen Eismeer, vom Wind gebeutelt, als mein altes kleines Nokia-Handy piepste – ein SMS: “Ich will wieder heiraten, du auch?” Was macht man in so einem Moment des rasenden Herzklopfens – ja, nein, vielleicht, anrufen, nichts? Ich sandte einfach ein ja und dann fielen die Turbulenzen über mich her. Wir waren 32 Jahre verheiratet und sieben Jahre geschieden. Wir haben wiederholt davon geredet, dass wir wieder heiraten, aber nichts Konkretes unternommen und nun dieser Antrag am Nordkap. Mein Mann wusste immer schon, die richtigen Momente zu nützen. Es war der Alltag, der uns zu schaffen machte – das würde jetzt zu weit führen. Ja, langsam sickerte es durch und die Freude kam und überwältigte mich. Ich saß auf einem Steine und schrieb auf einem flattrigen Papiertaschentuch ein Gedicht “DU”.

Die Sonne hat sich nicht mehr gezeigt. Der Nebel wurde dichter und wir mussten ins Hotel zurückfahren. Der Chauffeur hatte diese Reise dreißigfach gemacht und dies war seine letzte vor der Pension. Er hielt an einer Kurve, wo wir noch einmal zurückblicken konnten. Er wollte sich nicht trennen. Erst als der Nebel den ganzen Nordkap-Felsen dicht einhüllte und davontrug, kehrten wir in unsere Unterkunft zurück.

Übrigens habe ich auf der Rückfahrt ein schlichtes gelbes Leinenkleid in Helsinki von einer zauberhaften Samin – oder war es eine Trollfrau? – gekauft, als Hochzeitskleid.

© Christine Sollerer-Schnaiter 2021-03-11

Genres
Reise, Spiritualität
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Inspirierend