HEU PIKST

Micaela Hemesath

von Micaela Hemesath

Story

Die Freiheit auf dem Bauernhof im Allgäu sollte für lange Zeit meine letzte sein. Ich war 11 Jahre alt und wurde von meiner Opernsängerinnenmutter mit dem letzten Dienstmädchen in ihre Heimat geschickt. Es waren die Sommerferien, wo ich einfach ein Hindernis in ihrem Leben, als Alleinerzieherin und Verdienerin, war. Ich musste ins Internat an den Starnberger See.

So ging es in eine mir total unbekannte Welt. Angefangen mit dem Schlafzimmer, wo noch zwei andere Betten standen, über die nicht vorhandene Dusche und ganz schlimm: die Essgewohnheiten. Es stand eine riesige Schüssel auf dem großen Tisch, unter dem war eine Lederschlaufe, darin hing ein Löffel. Mit dem fuhr man in der Schlüssel herum, leckte den Löffel ab und verstaute ihn wieder unter dem Tisch. Pfui Deifi!

Eigentlich war ich in dem Alter noch ein Kind, wurde aber in das bäuerliche Arbeitsleben eingebunden wie eine Erwachsene. Die lustigste Aufgabe war Schweinefutter aus der Käserei zu holen, die oben auf einem Hügel lag. Bis ich mit dem schwankenden Fass Molke auf der Schubkarre wieder unten ankam, war die Hälfte verschüttet, weil ich mit Karacho den Hügel runter sauste.

Drei Kühe wurden mir anvertraut. Mit ihnen ging ich jeden Tag zum Weiden, träumte in dem Hüttchen, schnitzte mir ein Mühlespiel in die Bank und briet Kartoffeln über einem Feuerchen. Abends ging ich mit meinen drei Freundinnen wieder zum Stall zurück. Sie wussten den Weg alleine. Das Heuernten bei Sommerhitze und lästigen Bremsen ist mir in unangenehmster Erinnerung. Kneifen ging nicht!

Doch Heu sollte ich auch anders kennenlernen. Es gab da den jüngsten Bruder, er war “schon” 15. Mit ihm durfte ich zum nahen Fluss zum Baden gehen. Ich war total aufgeregt, er hieß Michael. Fand ich die ideale Ergänzung zu meinem Vornamen. Er hatte schon starke Muskeln, war braun gebrannt und wie ich später merkte, roch er auch ganz aufregend. Wir gingen über ein Brücklein zu unserem Badeplatz, da zog er mich unerwartet an sich und drückte mir ein Bussi auf den Mund. Es entzündete in mir ein ganzes Feuerwerk an unbekannten Emotionen. Völlig verwirrt folgte ich ihm, wir alberten im Wasser herum und ich fand ihn einfach toll. Zum Ausrasten legten wir uns in eine frisch gemähte Wiese, wo das trockene Gras noch herumlag. Es pikste ordentlich, doch ich hielt ganz tapfer durch. Er hielt meine Hand und er, der Landbursche und ich, die Stadtpflanze, sinnierten über das, was wir mal werden wollten. Er wollte in die Stadt, nicht auf dem Bauernhof bleiben und ich wollte sowieso schon immer in die weite Welt.

Leider konnte ich ihn immer nur von Weitem an schmachten, denn er musste ordentlich mitarbeiten auf dem Hof. Als ersten Kuss und ersten Schwarm, bleibt er für immer eingebrannt in meinem Herzen. Natürlich auch, wenn ich in frisch gemähtem Gras lag, was immer noch schrecklich pikste, dachte ich gerne an meinen Michael aus dem Allgäu.

Foto: Tim Bogdanov, unsplash

© Micaela Hemesath 2022-04-10

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