Heute wär‘ so ein Tag

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

Schon seit dem frühen Morgen regnet es. Immer wieder. Und es will gar kein Ende finden heute mit dem – für mich – schönen Wetter. Es ist kühl. Sechzehn Grad vielleicht. Und ich hab‘ die Fenster weit offen. Man muss es genießen, wenn sich der grausam heiße Sommer ein wenig ziert.

Ich würd‘ gern ‚rausgehen. Geht aber nicht. Schönwetter kostet teuer. Und ich bezahle in Schmerzen.

Dennoch, ich sehe in die Weite vor mir. Und ich muss lächeln. Herrlich!

Und ich denke: „Heute wär‘ so ein Tag.“ Heute würd‘ ich gern an ihrem Bett sitzen. Eingepackt vermutlich in Schutzanzug und Maske und Schutzbrille und Handschuhe – wegen des Krankenhauskeims, den sie sich auch noch eingetreten hat. Ich würd‘ mit ihr plaudern, wohl wissend, dass sie kein Wort davon hören kann. Ich würd‘ denken, dass sie vielleicht meine sonore Stimme in sich fühlen kann, wohl wissend, dass sie gar nichts fühlen kann. Ich würde ihre Hand fassen, und sie zärtlich streicheln, im Glauben, dass sie meine Wärme durch das Latex fühlen könnte, und sie die Berührung an früher erinnern würde, wohl wissend, dass sie sich an gar nichts erinnern kann.

Nicht mal an mich.

Stunden um Stunden würde ich heute gern an ihrer Seite sitzen, und ich würde sie betrachten. Und ich würde ihr sagen, wie schön sie ist, wohl wissend, dass ihr Leib nur mehr verkrampfter, fahler Abglanz der einstigen unbegreiflichen und überwältigenden Schönheit ist. Und sie würde wissen, dass meine Worte nicht gelogen wären, weil sie schon immer die Schönste unter allen war für mich. Und ich würde es ihr noch einmal ins Ohr flüstern, wie wunderschön sie ist. So, wie ich es immer getan habe, wenn sie geschlafen hat. Wohl wissend, dass sie das wohl auch nicht mehr weiß.

Und während draußen der Regen an die Scheiben prasselt, würde ich ihr erzählen, wie schön der Sommer werden wird. Weil sie die Sonne so viel lieber mag als den Regen. Und weil sie bei Regen nicht vor die Tür zu bringen ist. Weil sie die Nase aus der Türe stecken würde und am Absatz kehrt machen. Sie würde sich in ihren Schlabberhosen und einem dicken Pulli an mich drücken und sagen: „Kuscheln!“.

Und mehr gäbe es auch nicht zu sagen.

„Heute wär‘ so ein Tag“, denke ich, den ich gerne mit ihr verbrächte.

Ich seufze mich zu ihr in Gedanken.

Und ich denke an morgen. Wie das Wetter morgen wohl wird? Noch ein Regentag? Ein stürmischer, kalter Tag? Ein warmer Tag mit einem lauen Lüftlein? Oder gar so an die dreißig Grad mit Sonnenschein?

Ich seufze erneut. Wie das Morgen auch wird. Morgen wär‘ so ein Tag, …

Morgen sind es 1.642 Tage, die sie schläft, und ich werde auch morgen hoffen, dass sie aufwacht.

© MISERANDVS 2021-02-19

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