von Andreas Killmann
Meinem Sabbatjahr gehen schwierige Zeiten voraus. Zwei Jahre Corona: Lockdown, Homeoffice, Isolation. Dann, im Februar 2022, der Überfall Russlands auf die Ukraine. Ganz kurz denke ich: Wenn jetzt Krieg ist, kannst Du auch arbeiten gehen. Wozu ein Sabbatjahr, falls demnächst auch Bomben auf NATO-Mitglieder fallen, falls Reisen unmöglich wird, oder die COVID-Killervariante kommt, von der der Gesundheitsminister spricht?
Ich bin genauso erschöpft wie alle. Ich habe zwar keine Kinder, daher blieben mir die Sorgen um den Spagat zwischen Beruf und Betreuung, Bildung und sich einschleichendes Virus aus dem Kindergarten erspart. Aber erschöpft bin ich trotzdem von den vielen düsteren Nachrichten, den Talkshows mit den immer gleichen Kassandrarufen. Nun also die Ukraine. Ich wache auf, es ist Samstag, und im Fernsehen läuft das ARD-Frühstücksfernsehen. Das ist glaube ich noch nie vorgekommen, dass das Frühstücksfernsehen der beiden öffentlich-rechtlichen Kanäle am Samstag sendet. Aber man will die Bevölkerung wohl nicht ohne die aktuellen Katastrophen in der Ukraine ausschlafen lassen. Ich bin erstaunt, dass wir wirklich noch eine Erregungsstufe höher schalten können.
Mein tief empfundenes Mitgefühl ist mit den Menschen in der Ukraine. Genauso, wie es zwei Jahre lang auch bei den Risikogruppen in den Pflegeheimen war. Ich habe für die Ukraine gespendet, und ich habe auch bei einer Flucht von ukrainischen Bekannten einen winzigen Beitrag geleistet. Ich habe während der kritischen Phase der Pandemie alle Maßnahmen unterstützt, eben, weil ich verstanden habe, dass es ausnahmsweise nicht nur um mich ging, sondern um mehr als mich selbst. Ich habe einem befreundeten Kleinunternehmer, nicht Muttersprachler, in dieser Zeit durch den Dschungel der staatlichen Coronahilfen eine Schneise geschlagen, so gut ich es als Muttersprachler konnte. Ich habe die Welt der letzten beiden Jahre viel bedrohlicher und feindseliger erlebt als früher. Das Leid der Welt ist ein Stückchen näher an mich herangerückt. Die Diskussion um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine hat mich sehr beschäftigt. Aber helfen tue ich mit meiner Selbstbeschäftigung – mit Corona und mit der Ukraine – eigentlich niemandem. Ich spüre, dass meine Ressourcen schwinden.
Meine Ressourcen schwinden? Ich spreche mit einem Bekannten, er ist Russe und lebt schon lange in Berlin. Zum ersten Mal höre ich den Begriff der „Goldenen Milliarde“. Damit ist die Milliarde der aktuell 7,75 Milliarden Menschen gemeint, die in den reichen Industrienationen leben. Ich gehöre dazu. Wir können zum Beispiel solche Entscheidungen treffen, wie ein Sabbatjahr zu nehmen. In der Sahelzone oder in Bangladesch sieht das anders aus. Und doch gehen, in der Tat, der Goldenen Milliarde die Ressourcen aus. Ganz offensichtlich ist das beim Gas und beim Erdöl. Es gehen uns aber auch die inneren Ressourcen aus. Zum Beispiel die Fähigkeit zur Empathie, zu Mitgefühl, zum Zuhören und zum Frieden.
© Andreas Killmann 2024-04-25