von Andreas Killmann
Ich habe vier Tage Resturlaub genommen und am 1. Juli 2022 ist es so weit. Mein Sabbatjahr hat jetzt begonnen.
Ich habe mir vorgenommen, diese Zeit auf eine besondere Art zu beginnen. Getreu den Zeilen, die Sie schon gelesen haben, geht es mir um eine Reise nach innen, in meine Träume, Sehnsüchte, meine Berufung und Lebendigkeit. Ich stehe in dem riesigen Schrein des vietnamesischen Tempels in Berlin-Spandau mit meinen Blumen und einer Spende. Ich bin seit 24 Jahren sehr am Buddhismus interessiert, vor allem in seiner tibetischen Variante. Viele Reisen haben mich in den indischen Himalaya geführt, nach Tibet, Nepal, Sikkim und Bhutan.
Ich finde in den Tempeln der Welt – auch in christlichen, meiner ersten religiösen Heimat – einen Frieden in mir, der mich jedes Mal überrascht, und manchmal, wie heute, zu Tränen rührt. Es ist still an solchen Orten, es riecht entweder nach Butter (besonders in der tibetischen Variante) oder Räucherwerk, und manchmal nach Essen, dass nebenan zubereitet wird. Es klingen Glocken oder die Mönche, Nonnen und Pilger machen leise Geräusche beim Umwandern der Reliquien und Heiligen und beim Aufräumen der Opfergaben. Für mich sind diese Orte, buddhistisch oder nicht, zeitlos. Der Tempel und die Küche, das dürften anthropologisch die Quellen unseres Menschseins sein. Hier will ich mein Sabbatjahr beginnen, quasi wo alles begann.
Sie merken schon, ich würde gern die großen Antworten finden und Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dann die Welt erklären. Das ist so eine Macke von mir.
Für das Suchen, das bestenfalls allem Erklären vorausgeht, steht die Pilgerreise. Allen Hindernissen zum Trotz erreicht der wahre Suchende endlich sein Ziel: Die Verwandlung, die Gnade oder die Erleuchtung.
Ich befrage das chinesische Tempelorakel (mehrere Dutzend Stäbchen in einer Dose, die man schüttelt, bis eines herausfällt und die Zahl einer Deutung auf einem winzigen Papierfetzen verrät). Träume, Herz und Seelenfrieden, so oder so ähnlich lese ich die Bruchstücke auf der kleinen Karte mit der Nummer 77. Ich fühle mich auf dem richtigen Weg.
© Andreas Killmann 2024-04-25