von Sonja M. Winkler
Sie reißt nicht ab, die Kette der Zufälle. Mit einer Wurfschleuder katapultiert sie jemand in meinen Alltag und löst etwas aus: Verwirrung, Staunen, Zauber.
Montag, den 13. Juni, hatte ich einen Banktermin. Der Betreuer erzählt mir, er sei am Wochenende mit seiner Familie auf der Riegersburg gewesen. Faktum, weiter nichts.
Auf dem Nachhauseweg erhalte ich ein Whatsapp einer Bekannten, deren Name zufällig dieselben Initialen hat wie meiner, liebe Grüße von der Riegersburg. Sie schickt mir ein Foto einer Erklärungstafel zum Wort „Hexe“. Nichts Außergewöhnliches. Ich interessiere mich für die Herkunft von Wörtern.
Eine Stunde später kündigt der Signalton meines Handys ein weiteres Whatsapp an. Ich erhalte von einem Freund, der in Graz lebt und für Ö1 Beträge gestaltet, das Foto einer Buchseite. Der Text behandelt Grenzbereiche als „Orte des Verdrängten“. Genau dort würden sie sich aufhalten, die weiblichen Unholde, die Hexen, die im Altnordischen auf Zäunen reiten (tūnriða) und alles überblicken, hüben wie drüben. Es folgt ein kurzer etymologischer Abriss. Hexe, schon wieder.
Ich beginne mich zu wundern. Zwei Ereignisse, kein Kausalzusammenhang. Das ist mehr als bloßer Zufall.
Zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters, die in verschiedenen Städten wohnen, einander nicht kennen, zwei Menschen, von denen ich geraume Zeit nichts gehört, geschweige denn, sie gesehen habe, bringen mich am selben Tag innerhalb eines Zeitraumes von einer Stunde mit dem Wort „Hexe“ in Verbindung.
Versuch einer Conclusio: Vielleicht bin ich eine und die beiden wissen das, nur ich nicht. Oder: Ich soll mir einen neuen Besen kaufen. Eine Katze anschaffen. In den Spiegel blicken und schauen, ob mir über Nacht eine Warze auf der Nase gewachsen ist. Oder nichts von alledem.
Die Machenschaften der Hexen waren immer im Dunklen angesiedelt. Die Verdunklung zeigt sich auch im Grundwort –zussa, während der erste Wortbestandteil in althochdeutsch hagazussa (mittelhochdeutsch geschrumpft auf hecse) transparent ist. Er deutet auf Hag „Hecke aus Dorngebüsch, Wäldchen“, im Mittelhochdeutschen auch „Umfriedung zum Schutze eines Ortes“. Verwandte Etyma sind Hecke, Gehege, umhegen, behaglich, Unbehagen. Auch Adalbert Stifters „Hagestolz“ gehört hierher.
Je mehr ich sinniere und Sinn suche, desto deutlicher sehe ich sie jetzt vor mir, die bucklige Alte, wie sie auf dem festgefügten, mit grünem Blattwerk überwucherten Weidenzaun hockt, es sich behaglich gemacht hat, die Beine angezogen, verschmitzter Blick, Wurfschleuder in der Hand, lässt sie ein wenig kreisen …
Ich bleibe offen fürs Unerwartete, Irrationale. Werde weiterhin die Übertragungsenergie zwischen Zufällen erforschen. Fest steht, irgendeine Erkenntnis will in mein Bewusstsein.
Foto by paige-cody on unsplash
© Sonja M. Winkler 2020-07-15