von Gossengoethe
Ein einsames Bergdorf, die Bewohner de facto deutscher Sprachzugehörigkeit, aber ihr Dialekt eine Ansammlung von kehligen Geräuschen, die eine dolmetscherlose Konversation mit Einheimischen über 55 unmöglich macht. Hier hat man sich zur Sommerfrisch nun eingemietet, in die einzige Ferienwohnung eines urigen Hofes am Wald- und Dorfrand, der von drei ledigen Brüdern bewirtschaftet wird. Diese teilen sich nicht nur tägliche Aufgaben, sondern auch insgesamt 190 Lebensjahre, 57 Hühner, 25 Kühe bzw. Kälber und 23 Zähne. Was ihnen an Dentalhygiene fehlt, machen sie durch Gastfreundschaft und Trinkfestigkeit wett, oft und gern in Kombination.
Das Saufen und Kartenspielen mit den Bauern ist spaßig, doch irgendwann dürstet man zum einen nach anderem Gesöff als dubiosem Schwarzgebrannten, zum anderen nach mondänerer Zerstreuung, und so wird mittels geliehenen Mofas die Reise ins Tal angetreten. Dort wartet zwar auch nur eine minimal größere Siedlung, die besitzt jedoch ein tavernenähnliches Etablissement.
Die überraschend schwere Holztür des umgebauten Weinkellers galant geöffnet, plärrt aus dem schummerig-bunt beleuchteten Raum wider Erwarten nicht doofes Humptata, sondern Peter Schillings Völlig Losgelöst entgegen. Gleich beim Eintreten fühlt man sich willkommen: Elf Paar Augen, trotz früher Abendstunde stark suffgerötet, starren zur Tür wie im Spaghettiwestern. Man grüßt freundlich im passablen, weil zuvor manisch geübten Lokalkolorit und wird mit Murmeln und Kopfnicken akzeptiert. Hinterm Tresen werkelt eine junggebliebene Dirndlträgerin, ihre plumpe Erotik nach vier Tagen Männerwirtschaft Balsam auf den Augen.
Große Romanze wird es aber keine geben, denn der filzbehutete Quadratschädel zur Rechten, seines Zeichens Liebhaber oder männlicher Blutsverwandter (für beides ist das Dorf doch zu groß), scheint den nur der Höflichkeit geschuldeten Smalltalk beim Bestellen des Biers als eklatanten Affront gegen ihre Unschuld zu werten. Er grunzt Unverständliches, wartet auf Antwort, bekommt sie in den kulant veranschlagten fünf Sekunden nicht und erhebt sich schnaubend zu seinen einsneunzig Größe und zwei Drittel davon Breite, um dem Stadtbubi die Meinung zu geigen.
Indes interpretiert man dies nur als Geste des Aufbruchs, prostet jovial mit dem soeben erhaltenen Gerstensaft zum Abschied und führt ihn zum Mund. Die wohlgerundete Bardame versucht die Situation noch zu entschärfen, doch des Gehörnten Wut ist rasend. Gerade als Peter Schilling zum letzten langgezogenen Refrainteil seines Lieds ansetzt, saust die riesige Faust gen Stadtaffenkiefer, landet mit befriedigend groteskem Knirschen und entfernt Bierglas samt noch nicht geschlucktem Inhalt und einer Anzahl Zähnen. Die schiere Wucht des Kinnhakens zwingt zum Segelflug vom Barhocker, der allerdings durch die erlösende Ohnmacht noch vor der Landung nicht mehr bewusst wahrgenommen wird.
Schweeereeelooooooo-ooooooo…
© Gossengoethe 2021-09-05