Hier rein, da raus

Jessica Donnelly

von Jessica Donnelly

Story

Durch das eine Ohr herein, durch das andere hinaus. So lehrte Avas Vater es ihr, wenn man sie damals blöd behandelte. „Doch was soll ich tun, wenn es diesmal meine eigenen Gedanken sind, die mir Schlechtes wollen, Papa?“, schrieb Ava auf. Die eigenen Gedanken lassen sich nämlich nur schwer ignorieren und trotzdem wählen wir ihn fast alle irgendwann. Den Weg der Ignoranz, der einfachen Verdrängung. Reden uns ständig ein, alles wäre halb so wild und fangen dann an, so zu tun, als wäre nichts gewesen. So auch Ava. Bis heute weiß sie jedoch nicht genau, ob sie damals bewusst damit anfing oder ihr Unterbewusstsein sie dazu verleitete. Sie war doch gerade erst elf Jahre alt geworden. „Ich war doch noch ein Kind“, schrieb Ava auf. Physisch gesehen war sie das, mental jedoch nahm ihre Person eine unaufhaltsame Wendung. Sie traf Entscheidungen und übernahm Verantwortung für Dinge, mit denen ein so junges Mädchen hätte niemals konfrontiert werden dürfen. Sorgte sich stets um andere, obwohl man sich doch eher hätte um sie sorgen sollen, oder etwa nicht? Sie war schließlich das Kind. Die jüngste der Familie und doch die eine, von der alle ausgingen, sie käme schon klar. „Dabei hatte ich bloß einfach keine Wahl“, schrieb Ava auf. „Ich fühlte mich verpflichtet. Ich wollte retten, was uns noch übrig blieb“, fügte sie hinzu. Es war, als versuchte Ava ein bereits splitterndes Glas vor dem Brechen zu wahren, nur um Jahre später zu realisieren, dass es bereits kaputt war und man vermeintlich versuchte, es zu vertuschen. Andere, doch auch Ava selbst. Wahrscheinlich war es einfach die Hoffnung, der Wunsch, dass alles eines Tages wieder gut werden würde.

Das Beiseiteschieben von traumatischen Erlebnissen kann also sowohl bewusst als auch unbewusst passieren. Oft verdrängt man so lange, bis man irgendwann vielleicht sogar vergisst. Für eine Zeit lang scheint es bergauf zu gehen, doch meist trübt einen der Schein. „Ich erinnere mich selbst nur noch an Bruchstücke, von denen ich nicht einmal genau weiß, ob sie wirklich meine eigene Erinnerung sind oder ich mich bloß an Geschichten erinnere, die mir über mich selbst und mein Leben erzählt wurden“, schrieb Ava auf. Gemischte Gefühle und darunter ein gewisses Fremdheitsgefühl, das Ava sich selbst gegenüber verspürt. Alle anderen erinnern sich, nur sie selbst nicht. „Warum nur?“, schrieb Ava auf. War sie einfach nur zu jung, um richtig zu verarbeiten? Vielleicht. Oft schon hat Ava vom genannten Gedächtnisverlust gehört, welcher durch Traumata oder länger anhaltenden depressiven Phasen ausgelöst werden kann. „Wer war ich denn überhaupt vor alle dem?“, schrieb Ava fragend auf. Sie erinnert sich wie gesagt kaum, doch ein herzzerreißendes Gespräch zumindest, das brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Eines Tages bat Avas Vater sie zu ihm und fragte feinfühlig, was mit ihr los sei.

„Ich möchte nicht, dass du stirbst“, antwortete Ava.

„Ich muss aber“, sagte Steven daraufhin mit Tränen in den Augen.

© Jessica Donnelly 2022-08-28

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