Die Vergesslichkeit – Feind oder Freund?
Ich glaube beides, denn ich lebe schon viele Jahre mit ihr. In der Schule, wenn ich mich einmal ärgerte, über Schüler, die Direktion, Kollegen, meist eben völlig sinnlos, am nächsten Tag in der Schule wusste ich nicht mehr, worüber ich mich geärgert hatte. Was für ein Segen!
Heute: Brillen, Schlüssel, Schirme, Bücher, Namen – zum Teufel noch einmal – gestern hatte ich doch noch meine Lesebrille – wo ist sie heute? Blick hinaus in den Garten, da liegt sie ja, unter der Liege! Wie kam sie wohl dahin? Schlüssel, vor allem der Haustürschlüssel meiner Nachbarin, jeden Abend hole ich Emmi, ihren Hund. Verflixt noch einmal – wo ist er schon wieder! Emmi, sie bellt wie verrückt, wo bleibst du nur, ich suche doch schon! Gefunden!
Ein eigenes Kapitel – Bücher! Vergesse ich sie oder sie mich nicht? In der Bibliothek, Hunderte von Büchern: zu Hause – das habe ich schon gelesen (nach zehn Seiten) – jetzt wird es aber dramatisch, denke ich mir. Doch ich glaube, die Bücher haben ein Gedächtnis, sie wollen noch einmal gelesen werden – denn warum greife ich nach ihnen? Eine Ausrede für meine Vergesslichkeit?
Das größte Problem in der heutigen Zeit sind jedoch die vielen Codes, Pins für Handy, Lab Top, Alarmanlage, Versicherungen, usw. und so fort. Alles aufschreiben, Zettel verstecken, dass kein Einbrecher ihn findet! Keine Sorge, ich finde ihn auch nicht mehr!
Schluss mit dem Jammern, meine Vergesslichkeit liebe ich sehr. Zu meinem Mann: Das habe ich doch gesagt. Mein Mann: Nein, das hast du nicht! Zwei Tage später: Mein Mann, das habe ich dir doch gesagt! Ich: Nein, das hast du nicht! Drei Tage später: Beide haben wir vergessen, was wir sagen wollten. Unwichtig! Die Vergesslichkeit lebe hoch! Ehekrieg vermieden, die Hauptsache ist:
Liebe Demenz, bitte noch warten, denn wir sind uns unserer Vergesslichkeit bewusst, sie ist unsere Freundin!
© Christa Mittermayer 2024-09-27