von es_schreibt_mich
Ich werde dieses Gefühl nie vergessen: Die bloßen Füße in diesem seidigen, kühlen und lächerlich grünen Gras. Der blaue Himmel über dem See, der später in ein dunkles Blau getaucht werden würde, durchzuckt von bunten Feuerwerken. Meine Sohlen auf dem brennend heißen Asphalt, das Tapptapptapp meiner Füße auf dem Weg zum Steg, der von bunten Blumen gesäumt wurde. Wir nannten sie Froschgoscherl. Das mag wohl kaum der botanische Name sein, aber Oma hat immer recht.
Der See, zu dem wir damals Zugang hatten, war ein alter Ziegelteich, vielleicht vierzehn oder siebzehn Meter tief. Wenn man unter Wasser die Augen öffnete, sah man nichts als grün und gelb und die Sonne, die mal diese, mal jene Farbe unterstrich. In der Mitte des Sees befand sich eine blaue Plattform aus Plastikbojen mit einer gleichfarbigen Rutsche. Mehr gab es dort nicht. Aber mehr brauchten wir auch nicht. Dieser See war alles: Der Inbegriff des Sommers. Wir waren stundenlang im Wasser, auf der Plattform, neben der Plattform, auf der Rutsche (die besonders Wagemutigen sprangen von ganz oben ins Wasser – ich war nie eine von ihnen), unter Wasser.
Danach gab es Himbeeren frisch vorm garteneigenen Strauch. „Pass auf die Ameisen auf!“, sagte Oma. Seitdem gehören Himbeeren und Ameisen für mich irgendwie zusammen. Es gab Tonnen an Vanille-Eis vom Diskonter, das mit den zerhäckselten Vanilleschoten darin, garniert mit Sprühsahne und Schoko-Soße. Wer dachte damals an Kalorien? Sonnenschutz? Das alles spielte keine Rolle. Unser Taktgeber war nicht die Sonnencreme, sondern der Trocknungszustand unserer Bikinis und Badehosen.
“Willst du dich nicht hinlegen? Komm, ich klapp‘ dir das Streckbett aus“, sagte (drohte?) Opa. Streckbett (klingt nach Folterinstrument!)? Liegen? Pause? Um Gottes Willen! Tapptapptapp auf dem heißen Asphalt. Platsch – schon waren wir wieder im Wasser.
Das waren noch Sommertage mit unter vierundreißig Grad. Solche, die ewig währten. Solche, die nicht einmal dann doof waren, wenn man sich die Schienbeine an den Waschbetonplatten aufschlug, weil man zu ungeschickt für alles war. Brütende Hitze auf der Fahrt in der Straßenbahn zum See, direkt nach der Schule. Zutritt zum Hintereingang, mit dem besonderen Schlüssel, der für die Ansässigen. Wie auserwählt ich mich fühlte, als mein Bruder und ich uns durch dieses Tor Zutritt in die grüne Oase verschafften, die mitten in Wien lag und doch ganz woanders! Ribiseln, Himbeeren und Erdbeeren von der Hand in den Mund naschen. Das trocknende Seewasser auf der Haut. Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor zehn.
Heute würde ich gern im Streckbett in der Sonne dösen. Heute würde ich nach einer Schale Diskonter-Vanilleeis mit Sprühsahne zu essen aufhören. Aber heute würde ich mich nicht mehr trauen, in diesem See schwimmen zu gehen – und wenn überhaupt, dann nur im Kreis. Nicht auf die Plattform – und wenn, dann nur zum Sonnen.
Heute ist heute. Damals war früher. Und früher war gigantisch.
© es_schreibt_mich 2022-07-03