von Nadine Bösch
Da ist erstmal nichts.
Und doch soviel. Schock! Fassungslosigkeit! Herzrasen! Offene Münder! Fragen!? Sorge! Stille. Eine Szene, die es fast nie bei uns gibt: Die ganze Familie schaut mit Schauern Szenen aus der aktuellen Sondersendung. Die Ohren hören die Worte von Armin Wolf, aber das Herz versteht sie nicht. Es klopft wie verrückt gegen eine starre Wand.
Eine Wand von Weiß zu Rot zu Schwarz. Eine Wand, die alles sein kann, aber jetzt ist sie blutig – verschmiert – gezeichnet. Eine Wand mit unverständlichen Zeichen. WahnZeichen. Eine Wand die bröckelt – einstürzt – in sich zusammenfällt. Ohne Anzeichen. Ohne Vorzeichen. Ohne Warnzeichen.
Vor der Wand ist hinter der Wand / ist ohne Wand / ist ohne Schutz / ist nackt / ist mitten hinein / ist die Mitte der Stadt / ist das Zentrum / ist am Puls / ist das Herz. So traf es Wien. So trifft es uns. So trifft es mich. Mitten ins Herz. Unser geliebtes Wien. Mein geliebtes Wien.
Kein anderer Ort dieser Welt war mir mehr Heimat. Von Tag Eins mit 17 dort gelandet war und ist es mir das bis heute. Und Heimat bedeutet für mich Hülle – Geborgenheit – Sicherheit und Zugehörigkeit. Erstaunlicherweise hat nur Wien es geschafft mir diese Gefühle zu schenken. Soviele Zuagraste und ich mittendrin, als Eine von Ihnen, als Eine die den Wiener Slang aus Überzeugung und mit Freude angenommen hat, als Eine die hier angekommen ist. Bei allem, was ich in den 12 Jahren in Wien erlebt habe, ist mir eines besonders aufgefallen: Den klischeehaften mürrischen grantigen Wienern bin ich nur äußerst selten begegnet. Im Gegenteil hinter dem Berg in VordemBerg habe ich weit mehr Mühe auf freundliche offene Gestalten zu treffen. Irgendwie ist Wien wohl wirklich anders. Und das ganz positiv entgegengesetzt der all gemeinen Meinung zu den ewig grantelnden Menschen die hier leben sollen.
Mein unangetastetes Wien wurde gegen eine Wand gewütet.
Aber hinter der Schreckenswand ist da vorallem Liebe – ZusammenHalt und Einigkeit. In der Sprachlosigkeit sprach das MitGefühl. In der Fassungslosigkeit haben sich viele Menschen ein Herz gefasst. In der lähmenden SchockStarre waren manche mutig handelnd. Im unsagbaren Schmerz hörte man Menschen friedvolle versöhnliche Worte sagen.
Meine Kinder haben viele Jahre in Wien gelebt. Eines von ihnen ist sogar dort geboren, ein echter Wiener! Und ein echter Wiener geht nicht unter. Er besteht. Er verbindet. Er trinkt eine Melange. Er steht auf. Er macht weiter. Er streicht die Wand bunt.
Wien leuchtet wie ein heller Stern in der dunklen Nacht. Völlig eingenommen von der Berichterstattung ist es nun schon Mitternacht. Die Kinder sind immer noch wach – immer noch ergriffen – still. Dann irgendwann gehen wir ins Bett. Da ist erstmal Stille. Ganz wortkarg – und doch ist damit Alles gesagt. Ganz klanglos – und doch hallt es so laut in uns nach.
Da sind letztlich ganze WienerHerzen auf halbmast.
© Nadine Bösch 2020-11-07