von Lenny Hahn
Meine Therapeutin hat mir empfohlen, dir Briefe zu schreiben. Als ob dich das zurückbringen würde. Ich hab nicht mal Worte dafür, wie sehr es wehtut, ohne dich zu leben. Wie soll ich dann einen Brief schreiben? Wie soll man Worte dafür finden, dass man seinen Seelenmenschen verloren hat? Wie soll man in Worte fassen, dass von einem Tag auf den anderen nichts mehr ist, wie davor? Dass deine Seite im Bett leer ist, deine grüne Lieblingstasse mit den Schmetterlingen unberührt im Schrank steht und sich langsam Staub auf dem Buch sammelt, das du gerade liest. Gelesen hast. Wie soll ich in Worte fassen, wie sehr ich es vermisse, im Flur über deine Tasche zu stolpern, die mitten im Weg steht? Wie ich es vermisse, morgens aufzuwachen und deinen schiefen Gesang aus dem Bad zu hören. Wie ich es vermisse, mit dir zusammen Abzuspülen und dabei über alles mögliche zu reden. Wie ich es vermisse, uns beim Einkaufen die seltsamsten Produkte zu zeigen und mit ernster Miene zu fragen, ob wir das brauchen können. Wie ich es vermisse, durch die Stadt zu laufen und uns gegenseitig auf jeden Hund aufmerksam zu machen und diesen dann gemeinsam anzuhimmeln. Wie ich es vermisse, zu dem ruhigen Schlagen deines Herzens einzuschlafen. Wie ich dich vermisse.
Wie soll ich jemals an unsere ganzen glücklichen Erinnerungen denken können, ohne das Gefühl zu haben, dass jemand mein Herz fein säuberlich in Millionen Stücke zerbricht? Wir am Strand, mit sonnenroten Gesichtern und salzgebleichten Haaren. Wir, tanzend in der Küche. Wir im Kino, du mit salzigem Popcorn und ich mit süßem. Wir beim Picknick, wie wir versuchen Erdbeeren mit dem Mund zu fangen. Wir auf der Couch, dein Arm auf meinem Rücken, mein Kopf auf deiner Schulter. Wir auf dem Jahrmarkt, mit Zuckerwatte größer als unser Kopf. Wir im Riesenrad, mit dem schönsten Sonnenuntergang hinter den langsam erwachenden Lichtern der Stadt. Wir im Auto, Sommerwind in den Haaren, Queen im Radio und Glück im Herzen.
Wie soll ich alleine eine Zukunft überleben, die wir gemeinsam erschaffen wollten? Das kleine Haus mit dem Gemüsebeet, mit den grünen Wänden, mit dem Bücherregal für mich und den Pflanzen für dich. Boot fahren in Amsterdam, die Straßen erkunden in Wien, Cafés entdecken in Paris, Musicals in Hamburg, Eis essen in Florenz. Der Hund mit dem roten Halsband. Ein Zuhause, erfüllt mit frischem Kuchenduft, vermischt mit Liebe, Vertrauen und Wärme.
Es fühlt sich an, als hättest du alles mitgenommen, was mich ausmacht. Als wäre ich nur noch ein leerer und tauber Körper, der dazu verdammt ist, hier zu bleiben, auf der ruhelosen Suche nach seiner Seele. Seiner Seele, die mit dir ertrunken ist.
© Lenny Hahn 2023-08-30