von Peggy Biczysko
Es gibt einfach Tage, da schaltet sich das Gehirn ganz einfach aus. Wie damals in Colon. “Wo ist denn das Hirn?” – “In der Wurst!” Auf diesen Nenner bringen es die Franken in Bayern. Nun, in der Wurst war mein Hirn nicht. Aber definitiv auch nicht auf Sendung. Nach meiner Rückkehr vom San-Blas-Archipel warte ich in Panama City auf Melania. Die Chefin eines Shuttle-Service soll mich nach Colon zur Fähre bringen, die übersetzt nach Kolumbien.
Melania ist pünktlich. Zuerst zur Bank, dann weiter in die Freihandelszone, wo es Markenware aus aller Welt zu geringen Preisen gibt. Und nicht nur das. Zum Teil üble Typen hängen hier ab. In Colon gibt es sehr viele Arbeitslose und Drogenabhängige. Der Großteil der Bevölkerung ist schwarz und stammt von den Sklaven ab, die einstmals aus Afrika entführt und beim Bau des Panamakanals eingesetzt wurden. Die Regierung hat wenig für sie übrig.
Kaum verließ Melania mich am Fähranleger, stelle ich mit großem Entsetzen fest, dass ich mein wichtigstes Utensil – neben der Bauchtasche mit Pass, Geld und Kreditkarten -, die Umhängetasche mit Tablet und Fähr-Ticket, im Auto liegenließ. Und das passiert mir, dem absoluten Kontrollfreak. So etwas hat es daheim noch nie gegeben. Ich gehöre zu den Menschen, die am liebsten fünfmal zurück in die Wohnung gehen, um zu checken, ob der Herd tatsächlich aus ist.
Ich bin völlig aufgelöst. Nach dem Verlust meines Rucksacks gleich am ersten Tag meiner Weltreise – den habe ich dank lieber Menschen tatsächlich wieder bekommen – ist es schon das zweite Mal, dass ich etwas Wichtiges vergesse. Ich drücke die Wiederholungstaste auf meinem Handy, das ich glücklicherweise in der Bauchtasche verstaut habe. “Bitte geh‘ ran!” Tatsächlich: Melania meldet sich sofort. Bestürzt teile ich ihr mit, dass ich die superwichtige Tasche vergessen habe. Sie sagt lachend, sie habe es bereits bemerkt und befinde sich schon auf dem Rückweg. Mir fällt ein ganzer Steinbruch vom Herzen.
So viele Menschen haben mich gewarnt, allein nach Lateinamerika aufzubrechen. Gewarnt vor Dieben, Entführern und Mördern. Man muss auch einmal Vertrauen haben. Das hat dieses Erlebnis wirklich bewiesen.
Und nicht nur dieses: Gleich auf der Fähre treffe ich Philippe aus Frankreich, dem ich schon bei den Kuna-Indios begegnet bin. Weil ich mir nur einen Schlafsitz für 113 Dollar geleistet habe, lädt er mich ein, seine Kabine mit ihm zu teilen, in dem er ein Stockbett für die Nacht sein Eigen nennt. Allemal besser, als in der heruntergekühlten Großkabine auf Liegesitz Nummer 77 zu klappern. Und endlich einmal wieder duschen, noch dazu warm.
Allen Moralaposteln will ich den Wind aus den Segeln nehmen. Nein, es ist nichts passiert. Auch wenn sich der 58-Jährige charmant – er ist ja Franzose – darum bemühte. Nach einer Flasche Wein, einigen Bierchen und leckeren Linguine mit Langustinos geht es ab in die Koje. Jeder in seine!
Eine gewisse Vorsicht auf Reisen ist gut und wichtig, aber Vertrauen gehört eben auch dazu.
© Peggy Biczysko 2021-02-11