Hokkaido Girl#4

Leonie Winkler

von Leonie Winkler

Story

Hana versuchte in seinem Gesicht zu lesen, ob ihm ihre Vorstellung gefallen hatte. Er lächelte zwar, doch das Lächeln war lediglich wie eine dünne Maske, die über sein Gesicht gespannt war. Als sie in seinem Büro vor dem Schreibtisch Platz nahm, stellte sie mit großer Enttäuschung fest, dass nichts, das einer Vertragsvorlage ähnelte, darauf zu erkennen war. Es hatte also wieder einmal nicht gereicht. Sie drängte die Feuchtigkeit zurück, die sich in ihren Augen sammelte und biss sich auf die Zunge. Er würde sicherlich versuchen, es Hana schonend beizubringen. Herr Okumura würde versuchen, sie nicht zum Weinen zu bringen, wie er es bereits zuvor bei vielen anderen Mädchen getan hatte. Doch in Gedanken würde er schon längst woanders sein. Vielleicht fragte er sich, was er heute Abend essen würde, oder ob er noch mit Freunden etwas trinken gehen sollte. Herr Okumura setzte sich nicht, sondern steckte die Hände in die Hosentaschen und musterte sie. Dabei sprach er kein Wort. In ihr stieg ein Gefühl auf, das sie noch nie zuvor gefühlt hatte. Sie wusste nicht, wie sie es beschreiben sollte, doch im Nachhinein war es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen. Es war Gefahr. Ein Gefühl von Gefahr war von ihm ausgegangen. >>Sie haben eine schöne Stimme. Bestimmt haben ihnen das schon viele Leute gesagt?<<, Hana beantwortete seine Frage mit einem schnellen Nicken. >>Damit haben diese Leute auch Recht. Sie haben eine schöne Stimme, aber leider haben das viele andere auch. Es fehlt das Besondere, verstehen Sie? Eine Stimme muss aus Millionen anderen herausstechen, wie eine Rose zwischen Feldblumen. Sie sind leider lediglich eine Feldblume. Es tut mir sehr leid, Frau Fujisawa.<< Hana nickte langsam und schluckte schwer. >>Haben Sie trotzdem vielen Dank, dass ich es versuchen durfte.<<, presste sie steif hervor und starrte auf ihre Schuhe. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Als sie ihren Kopf hob, zuckte sie erschrocken zusammen. Sein Gesicht war ihr plötzlich so unerträglich nahe, dass Hana die miskroskopisch kleinen Bartstoppel erkennen konnte. Seine Finger wanderten zu ihrem Hals und fuhren dort sanft über ihre Haut. >>Sie mögen nur eine gewöhnliche Feldblume sein, doch für mich, Frau Fujisawa, sind sie ein außergewöhnlich hübsches Exemplar.<<

Hana konnte sich nicht bewegen. Alles in ihr war taub. Sie fühlte sich wie lebedig begraben. Hana wollte aufwachen. Aufwachen aus diesem Alptraum. Seine Finger fuhren seitlich an ihrem linken Arm hinunter zu ihrem Kie. >>Wenn Sie möchten, kann ich trotzdem etwas für sie tun. Für ihren Ruf. Zumindest hier in Tokio. Sie müssen dafür nichts weiter tun, als mir gelegentlich etwas Gesellschaft zu leisten. Ist das nicht ein großartiger Kompromiss?<<, sein Mund war nahe an ihrem Ohr und sein warmer Atem kitzelte ihr Ohrläppchen. Hana zitterte. Ihr Blick war starr vor Angst auf ihr Knie gerichtet, wo immer noch seine Finger lagen. Sie waren warm und trocken.

© Leonie Winkler 2022-04-27

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