von Corinna Winter
Die Fahrt dauert lange, die Decke ist eng. Meine Kraft schwindet. Als dieses Gefängnis endlich von mir genommen wird, blendet mich das helle Licht im Raum. Meine Gliedmaßen sind schwach von der starren Haltung. Und dem Alter. Dennoch schlage ich zu, meine Krallen gewetzt. Aber meine Bewegung ist zu langsam, ich verfehlen mein Ziel. Kräftige Hände packen mich, halten mich fest. Nein! Ich fauche, jaule, beiße. Vergebens. Meine Kraft verlässt mich.
“Alles wird wieder gut”, verspricht mir jemand, die Stimme von vorhin, und ich schaue auf. Da erblicke ich eine junge Frau. Ihre Hand ist nach mir ausgestreckt, doch liegt nicht auf mir, Tränen fließen über ihr Gesicht, während sie mit mir spricht: “Du warst so lange stark allein da draußen. Hier kümmert man sich um dich.”
Ich begreife nicht, was sie damit meint. Warum? Aber die kräftigen Hände, die mich immer noch festhalten, tun nur das. Sie fixieren mich, aber sie tun mir nicht weh. Andere, kleinere Hände gesellen sich dazu, tasten mich vorsichtig ab. Ich jaule trotzdem auf.
“Wir brauchen noch Tests, aber ich schätze, es ist die Niere. Womöglich Versagen.”
Ich blinzle langsam und müde, sehe diejenige an, die mich abgetastet hat. Sie streichelt mich überaus sanft, lächelt mich an: “Wir kriegen dich schon wieder hin. Du bist ein Kämpfer, du schaffst das.”
Ja, ich habe mein Leben lang gekämpft. Ich bin müde. Erschöpft sacke ich zusammen. Ich spüre die Nadel, die mir Blut abnimmt, doch ich wehre mich nicht länger. Ich bin zu müde.
“Du bist tapfer”, sagt die Tierärztin zu mir. “Und du hast so lange schon gekämpft. Hattest du je ein Zuhause?”
Ich sehe sie verständnislos an. Zuhause?
“Du siehst nicht danach aus”, schmunzelt sie und streichelt mein mattes Fell. “Aber du verdienst ein Zuhause. Wir finden etwas für dich. Wo man sich gut um dich kümmert, dir die Medikamente gibt und dich liebt.”
Liebe? Ich verstehe gar nichts mehr. Aber sie streichelt mich und ich habe erst einmal solche Zuwendung erlebt, damals als Kätzchen von meiner Mutter. Die Erinnerungen kehren wieder und ich möchte wehklagen. Warum mich daran erinnern, wenn ich solche Liebe nie wieder mein eigen nennen kann? Doch ich bleibe stumm und warte. Irgendwann döse ich ein. Als ich aufwache, bin ich in einem Käfig. Was für ein mieser Trick! Ich fauche und wenngleich es kraftlos klingt, fühle ich mich viel besser.
“Guten Morgen”, sagt die Ärztin und öffnet den Käfig. “Bleib noch liegen, du bist unterernährt und krank. Wir päppeln dich hier noch etwas auf, dann kommst du mit mir nach Hause, Diesel.”
Ich starre sie an, aber als sie mich streichelt, schnurre ich wie damals bei meiner Mama. Die Tierärztin ist anders, aber ebenso voller Liebe. Sie ist mein Mensch. Mein Zuhause.
© Corinna Winter 2024-02-13