Homophobie in der Kirche

Walter Weinberg

von Walter Weinberg

Story
Graz, Steiermark

Aeryn wollte in Österreich ein völlig neues Leben beginnen, weit weg vom Alltagsrassismus in den USA. Zu sehr hatte er seine gesamte Schul- und Studienzeit wegen der Anfeindungen bezüglich seiner Herkunft gelitten! Hier wusste niemand etwas über seine Herkunft und er hatte mittlerweile eine auffällig weiße Haut. Endlich konnte Aeryn sich eine völlig neue Identität aufbauen, ohne dass jemals jemand erfährt, dass er gemischt ist! Der Umzug auf einen neuen Kontinent und in ein neues Land stellte eine Zäsur in Aeryns Leben dar. Österreich war für Aeryn eine heile Welt, in der es nahezu keine andere Rasse gab als die weiße, zu der er sich mittlerweile komplett zugehörig fühlte! Im September trat Aeryn Michael John Gillern in das Priesterseminar Graz-Seckau ein, das sich im historischen Universitätsgebäude von Graz befand. Dort bekam Aeryn auch sein Zimmer, in dem er die nächsten drei Jahre verbringen sollte. Er verspürte schon früh die Berufung, römisch-katholischer Priester zu werden. Zuerst gefiel ihm das Zeremoniell der katholischen Kirche, dann wurde sein Priester sein Vorbild, und schließlich fand Aeryn seine Liebe zu Jesus und zur Kirche. Jedes Mal, wenn Aeryn während der Ferien seine Mutter in den USA besuchte, scherzte sie mit ihm darüber, dass er wahrscheinlich der erste in Amerika geborene Papst werden könnte. Daraufhin nannte Aeryn seine Mutter immer „Mama des Papstes“! Leider verlief Aeryns Priesterausbildung gar nicht wie erwartet. Ihm war Toleranz in jeder Hinsicht besonders wichtig. Weil er selbst homosexuell war, reagierte er besonders sensibel auf homophobe Äußerungen. Er erlebte ein Deja Vu, ähnlich dem Rassismus, dem er in den USA ausgesetzt war. Schon einmal wurde Aeryn an einem Ort diskriminiert, an dem er es nicht erwartet hatte, nämlich an der katholischen Franziskaner Universität. Diesmal betraf es nicht seine Rasse, sondern seine sexuelle Orientierung! Der Professor für katholische Kirchenlehre erinnerte die Priesterkandidaten, dass Homosexualität in der katholischen Kirche als schwere Sünde gilt! Diese Aussage wäre eigentlich nicht wirklich überraschend für einen praktizierenden Katholiken gewesen, aber Aeryn konnte damit überhaupt nicht umgehen. Er hatte diese Tatsache immer weit von sich geschoben! Jetzt wurde das Thema aber vom Unterrichtenden konkret angesprochen und er musste sich der Realität stellen. Aeryn war nun einmal schwul und musste sich spätestens jetzt damit auseinandersetzen, ob er tatsächlich Priester in einer homophoben Kirche werden wollte! Er hatte Angst, entdeckt zu werden. Durch irgendwelche Gesten oder Blicke hätte jemand im Seminar den Verdacht schöpfen können, er wäre schwul. Aeryn empfand einen immensen inneren Druck, sich entscheiden zu müssen! Je länger er darüber nachdachte, desto mehr verlor er seinen Wunsch, Priester zu werden. Aeryn wollte nicht mehr abgelehnt werden und sich nicht verstecken. Seine alten Ängste erwachten und wurden zu groß. Am liebsten wäre er davongelaufen, wie damals auf den Straßen, um nicht verletzt zu werden. Seine Zukunft und Lebensplanung gerieten massiv ins Wanken, weil er seinen Traumberuf wahrscheinlich aufgeben musste und doch nicht in die Fußstapfen seines geliebten Priesters treten konnte! Angeblich wurde Aeryn während seiner Priesterausbildung konkret aufgefordert, gegen Homosexualität predigen zu müssen. Aber in Österreich war es keineswegs üblich, dass Priester dieses Thema während einer Predigt ansprechen. Zumindest hatte ich noch nie davon gehört!

© Walter Weinberg 2024-03-05

Genres
Biografien
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Traurig, Angespannt
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