von Othmar Hill
Vor tausend Jahren saß ich am Nacktbadestrand an der neuen Donau. Da saß auch er: Hundertwasser. Ich setzte mich zu ihm: Herr Professor, wie geht’s? – Sag nicht Professor zu mir, sondern nur Meister! Ich stellte mich vor und dass ich ein Bewunderer wäre. Er schien mich nicht wahrzunehmen, blickte nur unverwandt auf das Wasser. Ohne jeden Augenkontakt sprach er so vor sich hin, ganz so wie ein Perseverierender, fast autistisch. Plötzlich: Ich zeig dir etwas! Er erhob sich und ging ohne mich zu beachten zu einem sonderbaren Fahrrad, ein Velosolex. So ein Zwischending von Fahrrad und Moped, mit einem auf das Vorderrad herunter klappbaren Antriebsmotor, wie es in Frankreich zuhauf gefahren wird. Er versuchte mich dafür zu begeistern: damit könne man sowohl treten als auch bergauf mit Motor fahren. Es verbrauche wenig Kraftstoff. Da er den Ölkonzernen misstraue und überhaupt für den Umweltschutz sei, kaufe er nie Benzingemisch, sondern fahre mit einer Mischung aus Spiritus und Rhizinus-Öl aus der Drogerie. Das stinkt zwar, wenn man an der Kreuzung steht, ein bisserl nach Palatschinken, aber sonst funktioniere das ausgezeichnet. Er lud mich zu sich nach Hause in die Otto-Wagner-Kuppel am Graben ein.
Meiner Frau erzählte ich davon und so besuchten wir den Meister in seinem Domizil. Als wir mit ihm gemeinsam in die Wohnung eintraten, stellte er sich auf ein Stockerl im Vorzimmer und schraubte eine Glühbirne in die Lampenfassung! Was machen sie da? – Ich schraube die Birne beim Weggehen immer raus, weil – falls ein Gewitter kommt – kann sie der Blitz nicht ruinieren. Sehr schräg, dachte ich. In der Kuppel herrschte ein Urwaldklima, weil sie voller mit Pflanzen war als das Palmenhaus in Schönbrunn. Diese feuchte Luft mit ihrem erdigen Duft bewirkte ein wundersames Geruchs-Gefühl. Dann ging es in die Küche: kein einziges elektrisches Gerät, kochen nur per Handarbeit, Kochwerkzeuge wie vor hundert Jahren. Sein Schlafzimmer bestand aus einem Bett im Eisenrahmen wie aus Urzeiten, einem Tisch und Sessel. – Das ist mein Atelier. Hier arbeite ich. – Unfassbar für mich.
Jedenfalls war ich nach eingehendem Vortrag über die Müllverbrennung an der Spittelau von dem Mann überzeugt. Ich kaufte meiner Frau und mir je ein Velosolex und wir genossen diesen Luxus. Da es ja in Österreich keine Velosolex-Vertretung gab, redete ich meiner Frau ein, so ein Geschäft zu eröffnen. Das tat sie dann auch, renovierte ein altes Lokal nahe der Löwengasse, verkaufte und reparierte die Dinger. Es wurde kein gutes Geschäft daraus, weil der Hauptkunde war der Meister Hundertwasser, der mindestens einmal pro Monat so ein Velosole für eine junge, schöne Dame ankaufte.
Eines Tages kam der Meister ins Geschäft: Kann mir irgendwer helfen? – Ich hatte eben meinen Overall an und sagte zu. Aber bist Du schwindelfrei?- Ja! – Wir müssen die Ziegel verfugen. Und so kam es, dass ich auf einem Balken gemeinsam mit dem Meister drei Stunden lang Ziegelfugen schwarz bepinselte.
© Othmar Hill 2021-02-09