von Maria Büchler
Ich bin süchtig. Wien-süchtig. Besonders während meiner Jahre in der Schweiz zog es mich mit aller Macht ostwärts. Wann immer möglich, reise ich gleich für mehrere Wochen in meine Lieblingsstadt. Wenn schon, denn schon.
So auch vor einem Jahr. Das Hotel buche ich online und kaufe mit einem ungeheuren Glücksgefühl am Bahnhof mein Ticket für ein Grand Lit im Nachtzug ab Zürich. So eins mit eigenem WC. Wenn schon, denn schon.
Morgens komme ich in Wien an. An der Hotel-Reception melde ich mich, deponiere das Gepäck im Abstellraum – und dann auf zum Café Weinwurm am Stephansplatz! Es gehört zum Ritual, dass ich mich dort in den Bereich «meines» Kellners setze. Mit der Sonnenbrille auf der Nase werfe ich lässig «Wie immer» hin und freue mich an seinem Wiedererkennen.
«Ja grüss Sie Gott, auch wieder in Wien? Einen Verlängerten schwarz?» Erst jetzt bin ich richtig angekommen.
Später zum Burgtheater, im Vorraum vier Aufführungen aussuchen und die Karten kaufen. Kategorie A. Wenn schon, denn schon.
An der Kasse merke ich, dass jetzt ziemlich Ebbe im Börserl ist. Beim Bankomaten hebe ich bis auf einen kleinen Betrag alles ab. Es ist nicht viel, aber eine der beiden Renten ist in ein paar Tagen fällig.
Beim Einchecken um 14 Uhr die böse Überraschung: Ich muss die 20 Nächte gleich bezahlen. Ja aber! Ich dachte, erst vor der Heimreise?
«Sie können auch per E-Banking oder mit Karte bezahlen.» Die Kreditkarte liegt daheim, und E-Banking mache ich nicht. Also entnehme ich dem Portemonnaie meine gesamte Barschaft und biete sie als Teilzahlung an. Der barmherzige Mann gibt mir 50 Euro zurück. Es eile nicht. In einer Woche sei es früh genug. Bis dahin sei das Zimmer bezahlt.
Das grosse Überlegen beginnt. Ich habe ohne Frühstück gebucht. Wie werde ich die kommenden Tage satt? Beim Discounter kaufe ich Äpfel, Karotten und Schnittkäse für im Zimmer. Den Kaffee trinke ich nicht mehr im Weinwurm, sondern bei Mac. In den Gratiszeitungen klemmen Gutscheine. Wo bekomme ich für wenig Geld möglichst grosse Portionen?
In der Station Spittelau gibt es günstig grosse Becher mit Pasta. Und es ist Wahlkampf. An den Ständen hole ich mir Traubenzucker und Schokolade.
Beim Türken in der Hahngasse könnte ich vielleicht anschreiben lassen, die Wirtin kennt mich.
Eine andere Möglichkeit wäre, nein, nicht singen, aber auf der Strasse Gedichte aufsagen, etwa den Tantenmörder von Wedekind, oder Mein Lieschen. Doch, das kann ich gut.
Die Rente kommt und kommt nicht. In der Karlich-Show hat jemand behauptet, Hunger sei in Wirklichkeit bloss Durst. Also trinke ich im Zimmer literweise Wasser aus dem Zahnputzglas. Es scheint zu stimmen.
Endlich ist die schweizer Rente auf dem Konto. Der geringe Betrag reicht knapp. Erleichtert bezahle ich im Hotel den Rest und an der U-Bahn-Station die nächste Wochenkarte. Die Einschränkungen gehen aber weiter.
Daheim auf der Waage eine erfreulich niedrige Zahl. Und ich bin dankbar für die Erfahrung dieser zum Glück nur temporären Knappheit.
© Maria Büchler 2020-08-02