von Philipp Hellwig
Der Kaffee schmeckte schon lange nicht mehr. Es war seltsam. Manchmal giert und zehrt die Kehle nach dem schwarzen Getränk, manchmal ist es einem schon nach dem ersten Schluck zuwider. Mit dem Kaffee ist es wie mit den Tagen. An eben diesem Tag saß ich in dem Lokal und schaute durch die getönten Fenster nach draußen. Warum ich gerade hier saß, wusste ich nicht mehr. Auf der anderen Seite der Straße leuchteten zahlreiche Alternativen, in denen ich genauso gut Kaffee trinken könnte.
Ein einfaches italienisches Lokal, McDonalds, Starbucks, Kentucky Fried Chicken, diverse Bäckereien, Burger King. Überall hätte ich an diesem städtischen Platz genauso gut sitzen können. Und doch war ich dort in diesem Hotelbistro, das wie aus der Zeit gefallen wirkte. Die Stühle und Tische, billige Möbel, furniert mit einem Eichenimitat. Die Fenster waren zwar ziemlich sauber (bis auf die grauen Regentropfen die langsam die Fassade benetzten), dennoch waren auch sie in die Jahre gekommen. Und die Getränke wurden in diesen antiken Lavazza-Tassen serviert, Amarettini und Zuckerstab inklusive. Mich hätte nicht gewundert, wenn hier noch Aschenbecher auf den Tischen platziert gewesen wären. Obwohl das Rauchen in öffentlichen Innenräumen in diesem Bundesland selbstverständlich längst verboten war.
So saß ich hier, trank einen bitteren Kaffee und starrte über die Plastikpflanze hinweg auf das geschäftige Treiben vor dem Fenster. Hauptsächlich Frauen und Männer in legerer Arbeitskleidung, hier und da mal ein paar Schulkinder und daneben jede Menge Obdachlose und Tauben. Es war kalt und bei vielen der Passanten konnte man den Atem sehen. Einer der Obdachlosen saß mir genau gegenüber und schien mich anzuschauen. Das war natürlich Quatsch, denn die Scheiben spiegelten mit Sicherheit die Lichter der umliegenden Busse, Autos, Reklametafeln und Hinweisschilder. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als würde der obdachlose Mann mich direkt anschauen. Wo ich ihn dort an diesem Dienstagnachmittag im Nieselregen sitzen sah, war ich doch ganz froh mit meinem bitteren Kaffee, im Trockenen zu sitzen.
Wie ich so in meinen Gedanken verfangen war, merkte ich erst nicht, dass ein älterer Herr mich vom Nebentisch anstarrte. Als ich aufblickte und er irgendwie keine Anstalten machte wegzuschauen, sprach ich ihn direkt an.
„Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“, fragte ich und erschrak mich selbst über meinen barschen Unterton. „Entschuldigen Sie, ich wollte nicht aufdringlich sein, aber Sie sehen aus wie mein Enkel.“
© Philipp Hellwig 2022-08-09