von Nadja Neubauer
Manchmal passiert es mir, dass ich unfreiwillig Zeuge absurder Gespräche werde, so wie kürzlich. Zwei ältere Damen unterhielten sich auf der Parkbank neben mir.
„Also bei meinen Großeltern damals musste das Ei total weich sein, aber ich mag das nicht so gerne, wenn das Ei so weichgekocht ist.“
„Also das Gelbe kann schon weich sein, aber wenn das Weiße auch noch glibberig ist, das mag ich auch nicht.“
„Ein schönes Frühstücksei eben.“
„Ich esse ohnehin nur dreimal die Woche Eier.“
„Soll man ja auch gar nicht, mehr als zwei hartgekochte Eier am Tag. Das soll ja nicht gesund sein, wenn man mehr Eier isst.“
Eier. Ich kannte mal einen Mann, der jeden Morgen zum Frühstück ein rohes Ei in einem Glas Milch verquirlte und trank, weil das, wie er behauptete, die Potenz steigern würde. Trotzdem sind ihm nacheinander alle Frauen weggelaufen, inklusive meiner Mutter. Eier sind also kein gutes Thema. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Ich hasse Eier.
„Es gibt ja diesen Spruch vom Gelben vom Ei. Ich verstehe nicht, warum immer das Gelbe gelobt wird. Ich mag das Eiweiß lieber. Das Eigelb ist so trocken.“
„Nur wenn die Eier hart sind. Aber stimmt schon. Die meisten freuen sich nur über das Gelbe vom Ei. Dabei gehört das Weiße doch auch dazu.“
Ich war mir nicht sicher, ob es den beiden Damen noch um das Ei als solches ging, oder ob ihr Gespräch inzwischen schon eine transzendentale Ebene erreicht hatte, auf der das Ei für etwas Höheres stand, vielleicht Symbol für den Sinn des Lebens war, für etwas Erstrebenswertes, eine Sehnsucht im Menschen. Meine Mutter hatte sich auch immer nach dem Gelben vom Ei gesehnt und felsenfest geglaubt, das Beste kommt zum Schluss. Zum Schluss war allerdings nur der Eier trinkende Siggi gekommen, der so von sich eingenommen war, dass er nicht merkte, wie meine Mutter immer unglücklicher und immer weniger wurde. Schließlich ist sie gegangen. Mitgenommen hat sie aus der Beziehung nur den Tumor, an dem sie wenige Monate später starb. Ich hätte mir für sie so sehr das Gelbe vom Ei gewünscht, einen Mann, der sie und nicht nur seine Eier liebte.
Seit damals habe ich kein Ei mehr angerührt, weder ein weiches noch ein hartgekochtes, kein Rührei und kein Spiegelei. Siggi und seine unglückliche Beziehung zu meiner Mutter waren schuld daran, dass ich noch heute keine Eier sehen kann.
„Vielleicht ist das mit den Eiern am Ende auch alles Quatsch. Am Ende braucht es gar keine Eier für die Gesundheit. Meine Enkelin, die isst überhaupt keine Eier. Aus Prinzip. Die ist vegan. Keine Tierprodukte. Und der geht’s super.“
„Ach du liebes Bisschen. So was gibt’s? Die Welt wird immer verrückter. Wir waren froh damals, wenigstens unsere Hühner und die Eier zu haben und heute verzichten sie freiwillig.“
„Die Welt dreht sich eben weiter.“
Ja, die Welt drehte sich weiter. Auch ohne das Gelbe vom Ei, das niemanden wirklich glücklich machte. Meine Mutter nicht und Siggi auch nicht. Aber wahrscheinlich trank der immer noch jeden Morgen seine Eiermilch, um sich vom vermeintlichen Gegenteil zu überzeugen, während meine Mutter schon lange nichts mehr trinken konnte. Ich warf den beiden Damen einen vernichtenden Blick zu. Wie ich Eier hasse!
© Nadja Neubauer 2024-12-29