[ I ] Der Jäger

Thien Duc Sylvia Nguyen

von Thien Duc Sylvia Nguyen

Story

“Kameraden! Fangt an zu jagen, bis diese Ungestalten endlich von Kronos‘ Oberfläche getilgt sind!” Endlich fiel der einzig wichtige Satz in der allmorgendlichen Motivationsrede. Er stand in der letzten Reihe und hatte am Griff seines Glasschwertes rumgepuhlt, darauf gewartet, dass endlich der Befehl kam.

Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als er sich umdrehte und sich von dieser Versammlung entfernte. Sein weißer Umhang, der im Laufe der Zeit grau geworden war, folgte ihm wie ein treuer Schatten. Er klappte seinen Sichtschutz herunter, obwohl dieser sowieso nur noch schmückender Teil seiner Ausrüstung, als das er Schutz war. Das Plexiglas war zum größten Teil schon herausgebrochen. Seine dunklen, glanzlosen Augen, fixierten die Stelle, an der das Glas fehlte. Er hatte eindeutig den Blick eines Jägers. Stumm zog er sich die weißen, gepanzerten Polyesterhandschuhe über, obwohl er sie so sehr hasste. Solange er noch auf Kronos‘ heiligen Boden wanderte, hatte er sich möglichst an die Regeln zu halten. Er begab sich starken Schrittes und geschmeidigen Bewegungen zu den Fahrzeugen der Jäger.

Der Wind frischte auf, als wollte er die weißen Jäger abermals in das Land der Sünder geleiten. Er machte sich bereit. Jäger XIII ging nicht auf die Jagd, um Kronos oder der Menschheit zu dienen. Er tat es, weil er es wollte. Jäger besaßen die reinste Form der Freiheit. Es war ein Privileg, die Gefährten des Windes, so nannte der Volksmund die fliegenden Fahrzeuge der Jäger, zu reiten. Auf ebenen Flächen konnte man mithilfe ihrer wendigen Räder weite Strecke in großer Geschwindigkeit zurücklegen. In den Ruinen des Sünderlandes benötigte man weitaus größere Agilität und Mobilität als in Kronopolis. Er klopfte sich gespannt auf den weißen, glänzenden Brustpanzer und schnürte das leuchtende Glasschwert fest an den Gürtel. Schließlich zog er sich den Mundschutz über und gab seinen Kameraden ein Handzeichen, dass er sich auf den Weg machte.

Zusammen mit den anderen Jägern jagte er über die Ebenen, Richtung Horizont. Die Sonne verschmolz in der Ferne mit der Erde, glühte in einem unheilbringenden Rot, als wüsste der Himmel, das XIII bald wieder in einem Meer aus Blut stehen würde. Sein Mundschutz warf Falten, als er begann in heller Aufregung zu grinsen. Er freute sich. Er war wie eine Bestie, die kurz vor dem Hungertod stand. Wenn er nicht bald einen der Sünder zu packen bekam, würde er sich auf seine Kameraden stürzen müssen. Sein Blick wanderte zu einem seiner Kollegen, die auf seiner rechten Flanke waren.

Langsam näherten sie sich den Silhouetten, die vor langer Zeit von Kronos verlassen worden waren. Mit seinen breiten Stiefeln bremste Jäger XIII seine rasante Fahrt ab und wechselte in den geflügelten Modus. Der Wind trieb ihn nach oben und mit Leichtigkeit schwang er sich weiter hinauf. Er entledigte sich der Handschuhe und dem Mundschutz.

Die Jagd hatte begonnen. Jetzt konnte ihn nur noch ein Opfer aufhalten.

© Thien Duc Sylvia Nguyen 2022-08-02

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