(I) e n t s c h l o s s e n

Anika Meyer

von Anika Meyer

Story

Diese Geschichte spielt in einer Zeit, die wir alle sehr gut kennen – sie spielt jetzt. Kennen wir „das Jetzt“ wirklich? Wir befinden uns auf dem Planeten Erde, ein winzig kleiner Teil im Universum. Der blaue Planet. Unser Zuhause. Ich lade dich ein, einen tiefen Atemzug zu nehmen und dich mit mir auf eine Reise zu begeben.

e i n a t m e n

a u s a t m e n

Ich befinde mich am Fuße eines saftig grünen Berges, stolz ragt er aus dem Ozean in den Himmel. Ein verlassener Ort, fernab von dem Rest der Welt, perfekt um sich vor den wertenden Blicken, Enttäuschungen, Übergriffen und Erwartungen der Menschheit zu verstecken.

. . . Vor einigen Jahren bin ich mit einem gebrochenen Herzen hergekommen, um ein neues Leben zu starten. Auf dem Gipfel des Berges baute ich mir ein Haus, mein eigenes, gemütliches Reich. Ich genoss es, endlich ich selbst sein zu können, ohne mich verstellen zu müssen. Eines Tages, auf einem Spaziergang am Strand, entdeckte ich eine geheimnisvolle Falltür. Die Falltür führte mich in den verborgenen Bereich des Berges, den Teil, der sich unter dem Meeresspiegel befindet – die innere Welt. In der totalen Dunkelheit begegnete ich meinen eigenen schrecklichen und schmerzvollen Erinnerungen – sie haben mich fast zerrissen. Von dort an beschloss ich, niemals wieder an diesen Ort zurückzukehren. . . .

Nun stehe ich erneut vor der Falltür, bereit, mich ein zweites Mal in die Tiefen der Dunkelheit fallen zu lassen. Meine verzweifelte Sehnsucht nach Begegnungen, Liebe und Miteinander ist einfach größer als die Angst vor der Angst. Ich wünsche mir, ein Teil dieser Welt zu sein und mein Leben voll auszukosten. Deswegen habe ich beschlossen, die Angst zu finden und sie zur Rede zu stellen. Ich muss wissen, warum sie mir das Leben so schwer macht.

Vorsichtig öffne ich die alte Falltür, ein modriger Geruch steigt mir entgegen. Meine Füße stehen dicht am Rand und die bodenlose Tiefe scheint unendlich, allumfassend. Ich spüre, wie die pure Dunkelheit schaurig meinen Körper hochkrabbelt und sich wie eine Last an meinen Schultern festsetzt. „Der Eingang zu meiner inneren Welt“, flüstere ich ehrfürchtig. Ich atme tief durch und mache mich entschlossen bereit, für den Sprung in die Dunkelheit. Plötzlich hallt eine angsterfüllte Stimme, aus den Tiefen unter mir. „Nein! Spring nicht! Du wirst Dinge sehen, die dir dein Herz zerreißen. Das kannst du nicht nochmal tragen. Dieses Mal wirst du zusammenbrechen unter dem Schmerz.“

Ich schlucke. „Warum quälst du mich mit diesen Vorstellungen? Ich muss das schaffen, ich habe keine andere Wahl, nur so kann ich der Angst begegnen und endlich Klarheit über sie bekommen. Ich muss sie irgendwie stoppen!“ Die Stimme ertönt erneut: „Ich quäle dich nicht, ich schütze dich.“

„Ich finde die Angst!“, sage ich mutig, dann schließe ich meine Augen und springe mit einem Satz in die Tiefe.

© Anika Meyer 2024-08-28

Genres
Romane & Erzählungen