Ich bin dann mal Laufen

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

Schon vor meinem Abitur hatte ich sporadisch mit Waldläufen begonnen und in den letzten Semestern meiner Studienzeit in Wien bin ich regelmäßig gelaufen. Mein Laufgebiet lag zwischen dem Schlachthof St. Marx und den Gasometern. „Jogging“? Das Wort gab’s damals noch nicht.

„Ich bin dann mal Laufen“, sagte ich später in Liesing meiner lieben Frau, wenn ich fast allabendlich bei Wind und Wetter mein Laufpensum abspulte. Dort allerdings gab es nur Asphalt und weder Wald noch Gärten. Aber bei Besuchen im Waldviertel konnte ich endlich wieder Waldläufe machen, und nachdem wir dort als Zweitwohnsitz ein altes Haus gekauft hatten, nutzte ich jede Gelegenheit, mein Wiener Laufprogramm um Waldläufe zu ergänzen.

Dort hatte ich „meine“ Stammstrecke, die sich je nach Lust und Laune beliebig erweitern ließ. Ich liebte diese 45 Minuten. Weniger wegen des körperlichen Trainings, sondern vielmehr aufgrund des sich einstellenden seelischen Ausgleichs und den empfand ich im Waldviertel besonders intensiv.

Gern verglich ich diese Stammstrecke mit meinem Lebenslauf: Zunächst galt es aus der sanften Dorfsenke herauszukommen und bald hatte ich als Belohnung wie nach der Gymnasialzeit den ersten Teich erreicht. Nach dem Damm ging es jedoch weiter bergauf und wieder galt es, sich gleichsam wie im Studium anzustrengen, bis ich endlich mit Studienabschluss und Berufsstart den Wald erreicht hatte. Jetzt die würzige Luft genießen und gleichzeitig nicht nachlassen, auf den Weg zu achten, denn dieser war uneben und oft standen Wurzeln heraus, bei denen man straucheln oder ausrutschen konnte. Dann ein weiterer Teich und diesmal mitten im Wald und die Fichten spiegelten sich in der ruhigen Oberfläche. Ja, jetzt fühlte ich mich sicher, komme was da kommen mag, gerad so, wie ich jedes neue Projekt als weitere Herausforderung betrachtete. Keine 10 Minuten später war ein kleiner vollkommen schwarzer Teich erreicht und wenig später ging es wieder bergauf: Durchaus anstrengend, aber ja, ebenso forderten auch im Beruf Gesundheit und Krankheit ihren Tribut. Aber Einteilung ist alles! Dann endlich war der Punkt erreicht, an dem die gesamte Talsenke vor mir lag. Den Wald hinter mich lassend, konnte ich es getrost laufen lassen und mich – gerade so wie jetzt im Ruhestand – an der Aussicht auf die Stadt mit Burg und Kirche und den umgebenden Teichen und Wäldern erfreuen.

So einen entspannten Moment hatte ich bereits 1978 gemalt (Titelbild), jedoch die Aussicht über das Tal im Nebel verhüllt gelassen. Es ist dies der Moment, an dem ich jetzt in meinem Leben stehe und zu dem ich darauf vertraue, dass es nach so vielen schönen Lebenserfahrungen egal ist, was auch immer noch kommen mag.

Nach mehreren Wirbelbrüchen kann ich mit nun bald 70 längst nicht mehr Laufen und auch Radfahren und Wandern sind mir nicht mehr möglich. Doch auch so habe ich so viel zu tun und ich wäre undankbar, wenn ich nach all dem Schönen meine eingeschränkte Mobilität bedauern würde.

© Klaus Schedler 2021-03-13