Ich bin das Christkind

Teresa Kaiser-Schaffer

von Teresa Kaiser-Schaffer

Story

Als junge Pädagogin war ich meinen fixen Grundsätzen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen in meinem Beruf als Lehrerin stets treu. Eines der Prinzipien lautete: „Ich werde Kinder niemals und unter keinen Umständen verarschen!“

Und dann wurde ich Mama.

Viel zu schnell waren meine beiden Töchter in dem Alter, in dem das Thema Christkind relevant wurde. Heute kann ich nicht mehr sagen, ob es der gesellschaftliche Druck oder die eigene Verzücktheit von der Vorstellung eines Christkindes, das die Geschenke bringt, war. Fakt ist, dass ich mich dazu hinreißen ließ, ihnen unter kreativer Höchstleistung immer größere Verlogenheiten aufzutischen. Verbunden waren diese Anstrengungen mit jährlich steigenden logistischen Kraftakten. Wozu das Ganze? Weil’s so schön ist, an das Christkind zu glauben – möchte man glauben.

Im Dezember kamen oft erstaunlich viele Pakete für mich „für die Schule“, die ich vor den Augen meiner Kinder ungeöffnet verschwinden ließ. Mein Mann musste jedes Jahr am 24. nach der Kindermette so dringend auf die Toilette, dass er nicht mit uns den Weg nach Hause gehen konnte, sondern schnellen Schrittes heim eilte. Auf wundersame Weise war er damit immer der einzige, der das Christkind gerade noch aus der Tür huschen sah. Auch diesen weihnachtlichen Dünnpfiff erklärten wir unseren Töchtern mit ernster Miene.

Vor zwei Jahren jedoch zwangen uns die gar nicht froh leuchtenden Augen unserer jüngeren Tochter zum peinlichen Geständnis. Das Leuchten in ihren Augen rührte von den Tränen, mit denen sich ihre Augen füllten, als sie uns am Abend des 23. mit zitternder Stimme fragte: „Kommt morgen das Christkind?“ Enthusiastisch wollte ich bereits dazu ansetzen, ihr zu erklären, dass es bestimmt kommen würde, als sie schon etwas bestimmter nachsetzte: „Da hab ich Angst!“ Erneut war ich schon top-motiviert dabei, einen Monolog über die Güte des Christkindes zu starten, als sie mich k.o. schlug. Nun schon absolut resolut erklärte sie meinem Mann und mir, dass es doch nicht sein kann, dass wir ihr immer versichern, sie soll keine Angst vor Einbrechern haben, da niemand unser Haus ohne unsere Erlaubnis betreten kann und uns andernfalls unsere Alarmanlage davor schützt, wenn das Christkind das so einfach jedes Jahr wieder schafft.

Zack. Weihnachtsidylle rational mit einem Schlag komplett versenkt.

Unsere Reaktion kam kleinlaut zerknirscht. So beichteten wir unseren beiden Mädels die große Lüge, mit der wir ihre Fantasie über Jahre hinweg gefüttert hatten. „Warum habt ihr das gemacht?“, kam die absolut gerechtfertigte Frage unserer älteren Tochter. „Vielleicht haben wir gedacht, dass es für ein Kind schwer zu verstehen ist, dass jeder von uns das Christkind für jemand anderen sein kann“, versuchte mein Mann unser großes Versagen zu rechtfertigen. Es folgte eine unangenehme Stille. Allmählich breitete sich ein Strahlen auf dem Gesicht unserer älteren aus: „Jetzt versteh ich’s: Ich bin das Christkind!“

© Teresa Kaiser-Schaffer 2020-12-01

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